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Das HEINO Phänomen

Twilight Magazin, BILD, Süddeutsche – egal welches große deutsche Blatt man dieser Tage studiert, HEINO hat die Titelseiten erobert.

 

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Twilight Magazin, BILD, Süddeutsche – egal welches große deutsche Blatt man dieser Tage studiert, HEINO hat die Titelseiten erobert. Eigentlich war Heinz Georg Kramm, wie HEINO mit bürgerlichem Namen heißt, durch Zufall zur Volksmusik gestoßen: Ihn nervten die vielen englischsprachigen Musikstücke. Schnell hatte sich der blonde Barde dann zum Archetypen des musikalischen Antihelden jugendlicher Protestkultur entwickelt und wenn Oma die Enkel mal besonders hart bestrafen wollte, legte sie ne HEINO Platte auf. Doch andersherum ging es auch. Und wenn der pubertierende Pickelknilch die Eltern mal so richtig in die Verzweiflung treiben wollte, dann wurde eine JUDAS PRIEST oder MAIDEN Scheibe bei voller Lautstärke abgespielt, in besonders harten Fällen sogar rückwärts, so dass Mutti und Pappi Angst hatten, der Leibhaftige könnte vom Nachwuchs Besitz ergriffen haben und ihn dazu verführen, dem Meerschweinchen den Kopf abzubeißen. Heute heißen Mama und Papa längst Mum und Dad. Und da es sich bei diesen lässigen Gestalten zufällig um die einst verpickelten, oben beschriebenen Revoluzzer aus den 80er Jahre Jugendzimmern handelt, entwickelt ein Starschnitt von HELENE FISCHER an der Wand der heutigen Teenager oftmals mehr Schockwirkung bei den kumpelhaften Erziehungsbegleitern – in der totalitären Vergangenheit als Erziehungsberechtigte verteufelt – als der Besuch eines CANNIBAL CORPSE Konzerts.

Wen verwundert es da noch, dass HEINO und seine Volksmusikanten mal schnell die Altkleidersäcke ehemaligen RUNNING WILD Mitglieder durchwühlen und sich nun trendgerecht in Leder und Nieten kleiden? Nahm sich der blonde Barde zunächst bekannte Rocksongs zur Brust und versah diese mit HEINO-typischen Sounds, so drehte er den Spieß nun um. Der Kollege Lison ist sogar so von dem traditionellen Liedgut im Gewand der Neuen Deutschen Härte begeistert, dass er HEINO kurzerhand und mit ehrfürchtiger Verbeugung attestiert, ein „Universalgenie“ zu sein.

Doch seien wir mal ehrlich – so richtig weiß man doch nicht, ob man nun lachen oder weinen soll. Wenn HEINO auf der Bühne des größten Metalfestivals der Band von tausenden Metalfans abgefeiert wird, fragt man sich doch langsam wirklich, ob es überhaupt einen Unterschied zwischen Metal und anderen Musikrichtungen gibt. Gibt es die so oft beschworene Lebenseinstellung des Metalheads überhaupt – und hat es sie jemals gegeben? Und wenn ja, wo ist sie geblieben? Kollege Lison kritisiert seit Jahren die Helene-Fischerisierung der Metalszene und meine Wenigkeit versucht verzweifelt herauszufinden, ob es zwischen dem Standard-Wacken-Besucher und dem Ballermann-Touristen noch irgendeinen Unterschied gibt, außer möglicherweise die Farbe des T-Shirts und – wenn es hoch kommt – die Haarlänge. Und ganz ehrlich gesagt, sitze ich doch auch fast lieber neben schunkelnden Rentnern auf der Bierzeltgarnitur, als mich von nackten Metalheads betatschen zu lassen, die gerade durch eine Urinpfütze geschlittert sind und über mehrere Tage nicht wesentlich mehr herausbekommen als ein langezogenes "Waaakkkköööönnn". Nein, nein, meine These lautet: Der überwiegende Teil der Metalfans unterscheidet sich nicht vom Malle-Touristen. Zwischen sinnlosem Gegröle und Alkoholkonsum bleibt ja meist auch kaum genügend Zeit, um sich über das Selbstbild einer ehemaligen Protestbewegung Gedanken zu machen. Warum sollte man das auch tun? Wer sich heute noch von der Mainstreamgesellschaft abgrenzen will, der sollte tunlichst versuchen, jedweden Körperschmuck in Form von Ohrringen oder Tätowierungen zu vermeiden, da man ihn sonst für einen trendigen Frisör oder H&M Mitarbeiter halten könnte. Eine Totenkopftätowierung ist jedenfalls längst nicht mehr das Aushängeschild des bösen Motorradrockers.

Stefan Mross hat es im Sat1 Frühstücksfernsehen trefflich auf den Punkt gebracht: „Sie [die Volksmusikanten] sind auf der Welt, um zu unterhalten. Wie ist egal.“ Von daher ist es doch auch legitim, dass sich die Creme de la Creme mal schnell für ein Video in schwarzes Leder schmeißt und zu Rammstein’esken Sounds abrockt. Ist das Heavy Metal? Wohl kaum. Vielmehr entspricht es dem hedonistischen Zeitgeist des 21. Jahrhunderts: Was zählt, ist, was unterhält. Was cool ist, können wir praktischer Weise auf Facebook nachlesen, denn dort weisen uns ja die „Likes“ den Weg zu den angesagtesten Trends. Wen interessiert es denn da noch, dass eine Armee von veganen Metalcorlern vor zwanzig Jahren auf jedem Metalfestival von bierbäuchigen Metallern über dem offenen Feuer gegrillt worden wäre, da man sie für die kleinen Brüder der Backstreet Boys gehalten hätte. Heute ist es vollkommen okay, mit verstrahlten Frisuren, noch grelleren Bandshirts und einer Gitarre um den Hals als Metalcorler die eigene Härte zu propagieren – hallo, immerhin ist mindestens ein Arm und der Brustkorb mit Rosen und Koikarpfen tätowiert.

Doch die seltsame Durchmischung ursprünglich gegensätzlicher Szenen bleibt nicht auf das optische beschränkt. Mittlerweile feiert jede Kirmesmetalband hohe Chartplatzierungen und die Labels zelebrieren die Erfolge ihrer Schützlinge entsprechend. Verständlich, schließlich will und soll man ja auch von der Musik leben können. Bleibt die Frage, wodurch sich Heavy Metal noch vom Mainstream abgrenzt, wenn jeder die Platten kauft und es dementsprechend MOTÖRHEAD und MÖTLEY CRÜE Shirts in jedem Bekleidungsdiscounter zu erwerben gibt. Was schon seit jeher der Quadratur des Kreises gleich kam, nämlich das Problem, dass musikalische Abgrenzung vom Mainstream nur solange möglich ist, wie die Bands kommerziell nicht erfolgreich waren und vom Großteil, dem Mainstream, als ungewaschene Asis abgestempelt wurden, ist heute augenfälliger denn je. Allerdings wird diese Tatsache gerne übergangen, stattdessen „rocken“ auch James Blunt, Sammy Deluxe oder Helene Fischer das Haus. Seltsam, denn sie spielen ja alle nicht mal ansatzweise Rock. Wie kann also etwa eine Hip Hop Band rocken?

Aber die Zeiten haben sich eben geändert, die ehemaligen Rebellen sind heute die Erwachsenen. Und da man erwachsen werden wollte, musste eben der punkige Look salonfähig gemacht werden. Tarnhosen heißen dementsprechend heute publikumswirksam Camouflage und lassen sich nicht nur als „Cargohose“ tragen, sondern ebenso gut als Jackett zum lachsfarbenen Schal oder mit Nieten versehen zum Ed Hardy Shirt. Nieten gehen ohnehin auf allen Kleidungsstücken. Selbst Oma trägt heute eine Schürze mit Nieten und Totenkopf, unter dem zu lesen ist: „Ich rocke die Käseglocke!“

Einhergehend mit dem Trend zur endlosen Vergnügungssucht der Massen, geht der Wandel hin zu Traumberufen wie „Verpackungskünstlerin“, „Webreporter“, „YouTube Blogger“, „Cam-Girl“ oder „Schauspieler bei Berlin Tag und Nacht“. Ein geregelter Beruf mit Ausbildung oder verstaubt klingendem Studiengang ist sowas von 80s, da könnte man sich ja gleich einsargen lassen. 

Wer möchte es da HEINO verdenken, dass er sich den neuesten Entwicklungen in der Unterhaltungsbranche anpasst und mit seiner krachledernen Zombiparade mal so richtig locker vom Hocker das Altenheim rockt? Und nicht nur das, sondern der Bariton aus Düsseldorf dürfte in kürzester Zeit aufgrund der penetranten Medienpräsenz auch im letzten Kinderzimmer angekommen sein. Entsprechend werden sich unzählige Menschen in solch anti-mainstreamigen Netzwerken wie Facebook oder, wer es richtig Underground mag, sogar bei WhatsApp, über den Ausverkauf des Metal echauffieren – natürlich erst, nachdem sie bei Facebook per Teilungsnachricht gegen die neuen Nutzungsbedingungen von Facebook Widerspruch eingelegt, ihr Che Guevara T-Shirt übergestreift und sich und der Welt per „Like“ auf Tugces Facebook-Seite ihrer Zivilcourage versichert haben.

In Zeiten, in denen der Höhepunkt einer Liveshow nur durch den Handymonitor verfolgt wird, in denen METALLICA während des Konzerts mal eben per SMS über den Zugabenteil abstimmen lassen und damit vermutlich mehr Geld verdienen als unsere gesamte Redaktion in 40 Arbeitsjahren und in denen ARCH ENEMY V.I.P. Tickets für ihre Shows verkauft, damit die tätowierten Bankangestellten nach der Show noch auf ein Selfie mit einer verschwitzten Alissa White-Gluz hoffen dürfen, ist ein rockender und selbstironischer HEINO doch wirklich unser kleinstes Problem. Vielmehr zeigt HEINO doch, dass er begriffen hat, wie die Welt heute funktioniert: Wer im Geschäft bleiben will, muss seine Fahne rechtzeitig richtig in den Wind stellen. Da kann man sich doch nicht von solchen Nebensächlichkeiten wie Authentizität oder persönlichen Vorlieben leiten lassen. Es zählt, was unterhält und was „geliked“ wird. Immerhin schreitet HEINO noch energisch ein, wenn die "Verpackungskünstlerin" aus dem KaDeWe live im Frühstücksfernsehen ein Paar Schuhe auf die saubere Tischdecke stellt. Und ich verrate wohl nicht zu viel, wenn ich behaupte, dass gute Manieren und Spießertum die Rebellion gegen das Establishment von Heute sind!  

Bilder: (c) Starwatch Entertainment / Sat1 Frühstücksfernsehen/mediastream.de

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Infos

  • Erstellt am

    13. Dezember 2014
  • Line Up

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  • Redakteur

    Thorsten Zwingelberg
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