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Lagwagon - Joey Cape steht Rede und Antwort (März 2015)

LAGWAGON waren schon immer ein Garant für großartigen Punkrock mit Herz und Hirn. Dass das neue Album ´Hang´ aber so ein Oberhammer werden würde, hätte ich nicht erwartet. Die Band tourt für einige Gigs zum Album durch Deutschland und ich traf  Sänger Joey Cape vor dem Gig im Berliner SO36 um über aktuelle und vergangene Zeiten zu sprechen.

LAGWAGON waren schon immer ein Garant für großartigen Punkrock mit Herz und Hirn. Dass das neue Album ´Hang´ aber so ein Oberhammer werden würde, hätte ich nicht erwartet. Die Band tourt für einige Gigs zum Album durch Deutschland und ich traf Sänger Joey Cape vor dem Gig im Berliner SO36 um über aktuelle und vergangene Zeiten zu sprechen.

Hallo Joey, ich kann mich noch gut an unser letztes Gespräch erinnern. Du höchstwahrscheinlich nicht. Es war der 17.01.1993.

Was war da?

Ihr habt NOFX im Hannoveraner Flohzirkus supportet und ich hab mir bei dir am Merch nach einem großartigen Gig gleich eure Debüt CD bei dir gekauft.

Oh man, das ist lange her, ich erinnere mich wirklich nicht.

Was kommt dir in den Sinn, wenn du an diese Zeit denkst?

Wow, eine schwere Frage. Ich weiß nicht genau. Touren war damals eine andere Sache. Wir waren jünger und es waren weniger Leute bei den Shows. Wir hatten noch das Gefühl, etwas Neues zu machen. Das klingt jetzt vielleicht, als wäre es heute nicht mehr so schön auf Tour zu sein aber das stimmt nicht. Ich habe heute mehr Freude daran als früher. Die Band spielt heute das Beste, was wir je gespielt haben. Ich habe heute auch ein besseres Verständnis vom Reisen. Es geht nicht mehr nur darum, wie viel Freibier ich in einem Club bekomme.

Du bekommst heute mehr von den Städten mit als nur die Clubs.

Ja, ich gehe in gute Restaurants oder auch mal in ein Museum. Es gibt sicher noch mehr Unterschiede, aber vieles ist auch gleich geblieben. Es geht doch darum gemeinsam gute Musik zu hören.

Als ich an diesen Gig gedacht habe, ist mir aufgefallen, dass es da das Internet nicht gab. Heute habe ich eure Supportbands im Netz angehört. Damals kannte man die Vorbands nicht, das war schon wesentlich spannender und es gab mehr zu entdecken. Und die Vorbands von NOFX wie ihr, PROPAGHANDI, RKL oder THE OFFSPRING waren immer gut.

Das ist ein wichtiger Punkt, ich weiß gar nicht, warum der mir nicht in den Sinn gekommen ist. Ich sage das sonst immer. Einer der wichtigen Unterschiede ist die Technologie. Wir hatten keine Handys und das Internet war noch eine Idee irgendwo im Hinterkopf eines Wissenschaftlers. Das Ganze hat sich unglaublich schnell entwickelt. Das Touren in Europa war aber auch immer anders als in den Staaten. Da sind wir durch Gegenden gefahren, aus denen wir stammen und die wir kennen. Unsere Fans sind oft liegengeblieben und da war es zuhause einfacher alles zu regeln. Insbesondere ohne Handys. Dazu muss ich sagen, dass unser Gitarrist Chris ein echt guter Schrauber ist, der viel wieder hinbekommen hat.

Also jetzt würde ich deine Frage so beantworten: Das Touren war früher ohne die ganze Technik irgendwie romantischer. Es ist nett, dass man sich die Bands vor der Show anhören kann. Aber wie viel cooler war es Sachen vor Ort zu entdecken? Ich möchte auch nicht immer erreichbar sein.

Da macht der Name LAGWAGON dann Sinn. Aber nun zur Gegenwart. Ich mag das aktuelle Album ´Hang´ genau so wie das Debüt. Meiner Meinung nach ist es fast das Schwierigste für eine Punkrock Band vom Sound her erwachsen zu werden. Das ist euch brillant gelungen. Wie habt ihr das geschafft?

Da gebe ich dir recht, das ist auch meine Erfahrung. Das gilt aber nicht nur für den Punk. Auch viele Rock ´n´ Roll Bands haben eine mich verstörende Entwicklung genommen. Viele werden etwas zu soft, wenn sie alt werden. Die Alben klingen zu poliert, es fehlt an echten Emotionen. Sie sind zu zufrieden. Was uns betrifft ist die Antwort einfach. Wir warten einfach. Ich habe ja noch einige Nebenprojekte. Das mache ich, wenn ich noch nicht dazu in der Lage bin ein LAGWAGON Album zu schreiben, das so klingt, wie ich es erwarte. Was ´Hang´ angeht, war ich sehr geduldig bis ich etwas gefunden habe, was mich wirklich inspiriert hat. Weiß du, ich hätte locker zehn oder zwölf Songs über die üblichen Themen wie Loyalität, Liebeskummer und verlorene Freunde schreiben können, aber das wollte ich nicht. Denn es besteht die Gefahr, dass es nicht so gut wie das ist, was ich in der Vergangenheit gemacht habe. Integrität erreichst du nicht, wenn du immer das Gleiche machst.

Meinst du, weil dann der Grund, aus dem man bestimmte Songs und Texte geschrieben hat, nicht mehr vorhanden ist? Und man es nur tut um weiterzumachen.

Exakt das meine ich. Ich denke, dass wir das mit LAGWAGON bis auf eine Ausnahme nie gemacht haben. Vielleicht können wir darüber noch später sprechen. (Dazu reichte die Zeit nicht, ich gehe aber davon aus, dass Joey die ´My Older Brother...´ EP meint.). Neben dem Warten gibt es aber noch einen weiteren wichtigen Punkt. Es war erstmals ein Konzept in meinem Kopf. Ich wollte eine Platte machen, in der ich die Welt darstelle, in der meine Tochter aufwächst. Vielleicht musste ich für diese Sichtweisen auf die Welt erst Vater werden, wer weiß? Das Schreiben war ein zum Teil schmerzhafter Prozess. Ich war bei meinen Texten noch nie so politisch. Musikalisch hat sich aber auch viel geändert. Bei allen Alben bis zu ´Hang´ habe ich fast die ganzen Alben arrangiert. Ich hatte fast die gesamten Chords, Breaks und Melodie fertig. Vor den Aufnahmen war es dann fast so, dass die anderen Bandmitglieder bei mir zu Schule gingen und ich ihnen die Songs beigebracht habe. Wir optimierten die fertigen Songs, aber das ist nicht genug. Ich hatte das Gefühl für diese Platte ihre Hilfe zu brauchen. Und selbst live haben wir noch nie so gut gespielt. Es hat sich etwas in der Bandchemie verändert. Es war einfach viel mehr Zusammenarbeit als bisher und und ich kam nur mit Ideen zu Songfragmenten an. Wir haben die Songs dann gemeinsam aufgebaut. Ich hatte allerdings ein Vetorecht, das ich aber kaum genutzt habe. Die Jungs, mit denen ich spiele, sind einfach mal verdammt gute und erfahrene Musiker.

Da sprichst du einen wichtigen Punkt an. Ich glaube es gibt zwei Gründe, warum es LAGWAGON leichter als andern Bands fällt, glaubwürdig erwachsen zu werden. Der erste ist das technische Niveau, das du gerade angesprochen hast. Spätestens mit ´Thrashed´ habt ihr da Maßstäbe gesetzt. Das andere ist die Tatsache, dass ihr von Beginn an sehr klischeefreie Texte hattet. Sprüche wie ´A.C.A.B.´ findet man bei euch nie. Es gibt für mich keine Texte, für die du dich heute schämen müsstest. War es eine bewusste Entscheidung, dass ihr euch von den gängigen Punkrockklischees unterschieden habt?

Als wir dabei waren, unseren Sound zu finden, noch bevor wir unsere erste Platte aufgenommen haben, war mir klar, dass ich technische Sachen spielen wollte. Es gibt eine Band namens RKL (Ritch Kids On LSD – Trille). Jedes Mitglied von LAGWAGON war zu irgend einer Zeit mal Teil von RKL. Wir waren auch große Fans von dem, was BUMMER gemacht haben, das war auch sehr technisch und progressiv für diese Zeit. Das waren gute Musiker. Es ging bei ihnen immer darum, Löcher in den Songs zu füllen. Wenn es zu gleichmäßig wurde, hat einer der Musiker, egal ob Drummer, Bassist oder Gitarrist Finessen in die Songs gebracht. Das hat uns geprägt, aus dieser Richtung kommen wir. Wir hätten fast genau diesen Weg eingeschlagen. Aber dann habe ich die ´Suffer´von BAD RELIGION gehört. Da ist mir klar geworden, dass Punkrock auch schön sein kann, mit klasse Melodien und Harmonien. Dazu kamen die intelligenten Texte. Wenn ich heute an LAGWAGON denke, bin ich der Meinung, dass das unsere Einflüsse waren: RKL und ´Suffer´. Dann haben wir begonnen Musik zu schreiben. (lacht) Also habe ich eigentlich kaum Rechte daran.

LW angryDa fehlt mir etwas. Von Anfang an waren LAGWAGON für mich dunkler und melancholischer als andere Punkrockbands. Schon bei eurer ersten Single ´Angry Days´ aus 1992 ist das sehr deutlich.

Da hast du Recht, das ist das dritte Element, was uns unterscheidet. Ich mochte schon immer die Musik lieber, die in eine melancholische Richtung geht. Als ich ein Kind war, habe ich mich immer mit Songs identifiziert, die trauriger waren. Ich konnte mich eher mit jemandem identifizieren, der verletzlich ist. Es ist zu einfach und langweilig, immer wieder zu „I had the best night of my life“ zu singen.

Ist diese Vorliebe für melancholische Klänge ein Grund dafür, dass du Platten als Songwriter herausgebracht hast?

Ja, das war etwas, was ich schon immer machen wollte. Ich habe schon immer auf der akustischen Gitarre komponiert. An einem bestimmten Punkt musste ich das einfach versuchen und es hat mir sehr gefallen. Es ist schön, die fette Energie der Band zu haben und es ist schön, diese leisen, fragilen Sounds zu haben. Ich mag es, als Songwriter zu touren. Ich trinke etwas Wein und singe mit den Leuten die Songs, das ist fast schon Lagerfeuerstimmung.

Wie unterscheidet sich denn eine Tour mit LAGWAGON von einer wie der, die du mit Tony Sly gemacht hast?

Das unterscheidet sich. Ich mag es, mit LAGWAGON zu spielen, sie sind ja quasi meine Familie. Ich mag es aber auch sehr mit anderen Musik zu machen. Es geht doch letztlich um Musik. Aber die Stimmung ist schon anders.

Mein Favorit auf dem neuen Album ist ´Obsolete Absolute´, der ja mit Schreibmaschinen Klängen beginnt. Ich habe grob gezählt und es müssten etwa 70 Anschläge sein. Da hab ich mich gefragt, was ihr wohl geschrieben habt und würde dir gern drei Möglichkeiten vorstellen.

Oh, das ist eine sehr coole Idee, da bin ich gespannt.

 Ok, dann los.

  1. Dieser Track zeigt, dass ein Punkrockksong länger als 6 Minuten dauern kann, ohne langweilig zu werden.

  2. Nicht nur Metal Bands können unterschwellige, satanische Botschaften in ihren Songs senden.

  3. Im Ernst, da gibt es keinen Inhalt beim Tippen, du kannst aufhören zu zählen.

(Lacht) Es ist Nummer zwei und wir haben den Text rückwärts getippt. Nein, es ist die dritte Option. Mann, das war eine clevere Idee, ich habe nie daran gedacht, das als einen Text zu schreiben. Ich wollte schon länger diese Schreibmaschinengeräusche einbauen, gerade weil mir die Texte so wichtig sind. Der Song heißt ja ´Obsolete Absolute´ und es geht darum, dass ich sehe wie meine Lebenszeit schwindet. Ich habe viel geschrieben, aber nie eine Schreibmaschine genutzt. Trotzdem ist sie ein Symbol für mich, es steht für, etwas,was verloren gegangen ist. Das ist komisch, denn der Laptop ist definitiv eine besser Maschine, aber es hat etwas Nostalgisches.

Da der Tourmanager schon seit längerem Druck macht, zum Ende zu kommen schnell noch eine Frage, die ich mir häufig gestellt habe. Was ist eigentlich schief gelaufen, dass ´Give It Back´ damals kein Smashhit geworden ist?

Puh, was für ne Frage.

Jaja, der Song hat doch alles, was es damals brauchte, fette Riffs, Groove, eingängige Melodien, eine gute Hokkline und so weiter.

Vielleicht fehlt der „Oh hoho ho - Part“. Vielleicht wäre der Song mit einem solchen Teil ein Hit geworden. Ich habe in dem Song nie dieses Hitpotential gesehen. Für mich ist es eher ein grooviger Metal Song.

Gerade das war ja angesagt.

Ich habe den Song gar nicht geschrieben.

Vielleicht ist das ja der Grund?

(lacht) Jaja, bestimmt. Der Song ist von unserem ehemaligen Drummer Derrik

Dann erwähne ich an dieser Stelle, dass das Interview an Derricks 10. Todestag stattgefunden hat. Das Thema habe ich ausgelassen, wenn ihr mehr über die Folgen seines Suizids für die Band wissen wollt, schaut mal hier vorbei. 

LW BoxZum Schluss noch eine kritische Frage. Eure ersten Scheiben sind in einer Box wiederveröffentlicht worden. Ich habe mir die damals nicht besorgt und wollte sie vor etwa einem Jahr kaufen, da war der Preis bei etwa 400€. Auch wenn ich es albern finde, kann ich ja verstehen, dass es eine limitierte Auflage in farbigem Vinyl gibt. Aber wieso wird die normale Auflage so begrenzt, dass irgendwelche Assis, denen es nicht um die Musik geht, damit spekulieren? Das ist doch gegen den Spirit des Punk.

Oh Mann, so teuer ist die? Shit! Ich gebe dir in deiner Kritik zu 100% Recht. Ich will hier nichts Schlechtes über die Leute sagen, mit denen ich zusammenarbeite. Fat Wreck Chords ist ein großartiges Label und Fat Mike ein super Typ. Es gibt einen Trend, der diese Labels am Leben hält. Das ist schon eine Art Verzweiflung. Sie wissen halt, dass es eine Menge Fans gibt, die mehr Geld für Special Editions ausgeben. Damit können sie in Zeiten, in denen weniger Tonträger verkauft werden, Geld verdienen. Es gibt so viele Labels, die sterben wie die Fliegen. So ist es leider und ich hasse es. Ich finde es unerträglich, wenn ich höre, dass jemand etwas haben möchte, was ich gemacht habe und er es nicht bekommt. Für mich ist das bescheuert. Aber wir leben nicht in einer perfekten Welt...

Without darkness there would never be light, without injustice...

...we never have a right. Haha, Ja diese Textzeile trifft es da ganz gut, auch wenn es um Musik geht. Ich wünschte, ich wäre ein reicher Mann, dann würde ich unsere ganze Musik selber produzieren und so viele Exemplare veröffentlichen, wie die Leute wollen. Ich habe nach einer Nachpressung der Box gefragt und als Antwort ein nein bekommen, sorry.

Das wäre eigentlich der perfekte Übergang, um über Joeys neues Label One Week Records zu sprechen, aber draußen scharren die Mitarbeiter vom Metal Hammer mit den Hufen. Was die hier wollen, ist mir allerdings fraglich. Es reicht doch, dass die vereinte Springer Bagage von Spiegel über Bild bis Metal Hammer ihren Teil zur Mainstreamisierung von Wacken beigetragen hat. Können sie nicht wenigstens die Finger vom Punkrock lassen?

Bleibt noch zu sagen, dass LAGWAGON an diesem Abend noch einen 90 minütigen Gig der Güteklasse A abgeliefert haben. Die neuen Songs fügen sich nahtlos in das Set ein. Einzig das fehlen von ´Angry Days´ ist schade, aber bei so vielen Hits müssen einige unter den Tisch fallen.

 

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Bild Copyright:

Infos

  • Erstellt am

    07. April 2015
  • Line Up

    Joey Cape - Vocals
    Chris Flippin - Guitar
    Chris Rest - Guitar
    Joe Raposo - Bass
    Dave Raun - Drums

  • Redakteur

    Tobias Trillmich
  • Tags

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