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  • WINGENFELDER - Schlicht & ergreifend: Die Abschiedstour 2024

    | Martin Thiem | Konzerte
Am 16. November 2024 bot sich für das TWILIGHT-MAGAZIN die Möglichkeit eines der Konzerte der Abschiedstour von WINGENFELDER zu besuchen. Wie praktisch, dass sie in DER Stadt gastierten, mit der sie ganz viel verbindet. Und wie praktisch auch, dass WINGENFELDER abgefeiert wurden. Leichter Wehmut: Le WINGENFELDER est mort, vive le FURY IN THE SLAUGHTERHOUSE. 

Die Abschiedstour der Band begann mit dem Warm-up am 4. November 2024 in St. Peter Ording und endet am 24. November 2024 in Bochum mit folgenden Stationen:
01- St. Peter Ording (4. Nov.)
02- Kiel (7. Nov.)
03- Hamburg (8. Nov.)
04- Rostock (9. Nov.)
05- Berlin (11. Nov.)
06- Nürnberg (12. Nov.)
07- Mannheim (13. Nov.)
08- Bremen (15. Nov.)
09- Hannover (16. Nov.)
10- Oberhausen (17. Nov.)
11- Köln (19. Nov.)
12- Osnabrück (20. Nov.)
13- Erfurt (22. Nov.)
14- Wolfsburg (23. Nov.)
15- Bochum (24. Nov.) -> krankheitsbedingt verlegt auf 12. Jan. 2025

Wir legen den Schwerpunkt auf HANNOVER. Um 1830 begann der Einlass. Zu diesem Zeitpunkt war die eigene Parkplatzsuche noch im vollen Gange. Eine Runde um den Block zeigte schon die lange Schlange wartender anderer Konzertbesucher... Parkplatz erhascht, zum CAPITOL marschiert, selbst erstmal das Ende der Schlange gebildet bis zum Eintreffen weiterer Einlasssuchender. Der Einlass inkl. Personenkontrolle ging schnell, auch wenn ich mir sehr sicher bin, dass die Art der Absuche keinerlei Wirkung zeigte auf das potentielle Einbringen gefährlicher oder verbotener Gegenstände. Berufskrankheit, wenn man mit den Folgen dessen zu tun hat, was Personen, die das Diskutieren verlernt haben, durch als opportun bewertete physische Gewalt zum Durchsetzen eigener Ziele anrichten (lassen).  
Wahrgenommen habe ich keinerlei gewaltbegleitete Störungen, was für ein friedliches Publikum sprach. Für größtmögliche Unauffälligkeit im Dress der Muckerpolizei mit Karohemd, grauer Tweedweste, beigem Leinenhattera auf dem kahlen Haupt bekleidet mischte ich mich in Begleitung unters Volk und bezog Stellung zwischen Bar und Platz von Licht- und Toningenieur. Gefühlt lag der Altersdurchschnitt deutlich über 40 Jahre. Das Publikum bestand also sehr wahrscheinlich aus Menschen, die mit FURY IN THE SLAUGHTERHOUSE erwachsen und alt wurden und sich mit der Pause FURYs freuten, dass die Gebr. WINGENFELDER weiterhin Musik machen werden. 

Pünktlich um 2000 begann das Konzert. Kai Wingenfelder persönlich begrüßte das Publikum und führte den Opener ein. NORMAN KEIL. Er war selbst mal Mitglied der Band WINGENFELDER, entschied sich dann für Solopfade. Er trat nur mit Stimme, Westerngitarre, Fußmaschine und kleinem Board auf. So reduziert der Auftritt wirkte, so kraftvoll und mitreißend waren seine Lieder. Das Publikum spendierte ihm großen Applaus.
Gegen 2035 verließ er die Bühne.
Und um 2045 traten WINGENFELDER in der Besetzung des letzten Albums auf: 
Kai Wingenfelder (Gesang, Westerngitarre), Thorsten Wingenfelder (Gesang, E-Gitarre, Westerngitarre, Mandoline, Ukulele), Volker Rechin - Bass, Backgroundgesang, Mundharmonika), Toby Pluta (Schlagzeug), Robert Schuller (E-Gitarre, Westerngitarre, Bass (wenn Volker Rechin Mundharmonika spielt), und Sebastian Demmin (Keyboard). Als Gast kam bei ein paar Stücken nochmals Norman Keil auf die Bühne. Immerhin verantwortet er auch ein paar Songs von WINGENFELDER als Autor. Der Opener "SendeschlussTestbild", inhaltlich aktuell wie damals bei Erstveröffentlichung, zeigte mir sehr deutlich, dass Thorsten Wingenfelder wie ein gewisser Mr. David Howell Evans, besser bekannt als The Edge von U2, ein wahrer Meister der wirkungsvollen echoschwangeren Begleitung mit Arpeggios sowie Singlenote-Soli ist - wobei unstrittig seine Finger auch geschickt und geschwind das gesamte Griffbrett bereisen können.  
Die Diskographie von WINGENFELDER umfasst sieben Studioalben und ein Live-Akustik-Album. Mir bekannt waren nur die Songs von "Schlicht & ergreifend", dem finalen Album.
Was die Setlist angeht, sehe man mir nach, nicht wie ein Protokollführer oder Chronist mit Stift und Schreibblock oder Diktiergerät das Konzert konsumieren wollte. Der Erinnerung nach ohne Anspruch auf Chronologie und Vollständigkeit wurden vom Album "Schlicht & ergreifend" folgende Lieder vorgetragen: "Wenn's am schönsten ist", "Der 5te Frühling", "Keiner kommt hier lebend raus", die Hannoverhymne "Nie zu laut und null Beschwerden". Weitere Titel, die gespielt wurden, sind u. a.: "SendeschlussTestbild", "Revolution", das Weihnachtslied "Wenn die Zeit kommt", dessen Verkaufserlös im Erscheinungsjahr als Spende für den Elternverein der Kinder-Onkologie-Station der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) diente. Ein Lied widmete Thorsten Wingenfelder seiner im Publikum anwesenden Tochter und noch ein paar weitere. "Springen in die Nacht" (ein biographisches Lied Norman Keils über das Erleben der Wende als Kind), "Irgendwo ist immer Sommer", "Beste Band der Welt", "Klassenfahrt" (ebenfalls ein Lied aus der Feder Norman Keils). Den Schlusspunkt setzte die Band mit "Der letzte Ricard von St. Malo" mit Thorsten Wingenfelders Windmühlen an seiner Tele à la Pete Townshend (THE WHO) oder sollte man wegen des gemeinsamen Bezugspunktes besser Rudolf Schenker (SCORPIONS) schreiben? Kurz gesagt es ging wild zu Ende - ganz im Sinne des Refrains von "Wenn's am schönsten ist": "Man hört auf, auf, auf wenn's am schönsten ist und man geht, geht, geht daß einen jemand noch vermisst man hört auf, auf, auf, wenn's am schönsten ist und man geht, geht, geht, solang einen jemand noch vermisst", steht es im Booklet des Albums "Schlicht & Ergreifend" im Original. 

WINGENFELDER spielten bis zum Schlussakkord keinen einzigen FURY Song, wobei  "Won't Forget These Days" zur Abschiedstour durchaus gepasst hätte. Die aufgeführten Lieder sorgten allerdings für genug ausgelassene Stimmung. 

WINGENFELDER beglückten mit zwei Zugabenteilen mit über etwas mehr als 120 min das Publikum. Obwohl nur unzureichend mit dem WINGENFELDERschen Werk vertraut, fühlten sich meine Begleitung und ich uns zu keinem Zeitpunkt im Konzert verloren. Selbst bei NORMAN KEIL nicht. Er hatte das Publikum schon sehr gut warmgemacht, WINGENFELDER dankten es mit sehr viel Spielfreude. Und ich will es nicht einmal auf den Heimvorteil mit dem ausverkauften CAPITOL zurückführen, sondern weil die Musik mitreißt. 

Die Muckerpolizei, die Bassisten, Schlagzeuger und Keyboard ignoriert, freute sich an den E-Gitarren bei Thorsten Wingenfelder mit zwei Duesenberg Starplayer TV und einer Fender Tele (Ukulele, Mandoline, Westerngitarre schenke ich mir) und bei Robert Schuller waren es eine Nik Huber Orca 59, eine Suhr Classic und eine Suhr Classic T. Beide verwendeten als "Verstärker" einen Kemper Profiler. Diese Dinger nehmen digital die Signale echter, von einem selbst ausgewählter Röhren- oder Transistorverstärker auf (samt Laufsprecher) und geben dieses Signal an jedem Ort wieder, ohne dass eine Lautsprecherbox aufgebaut und mikrophoniert werden muss. Somit bleibt der Schlagzeuger, der der den meisten Platz braucht... Das Signal der Kemper geht direkt über den Mixer in die PA. Der "normale"  Konzertteilnehmer hört keinen Unterschied. 
Der Bassist Volker Rechin begeisterte bei einem Stück mit der Mundharmonika. Bei Sebastian Demmin an den Tasten dachte ich ab und an: "Der ist nur da, um beim Instrumentenwechsel der Saitengreifer mit Piano-Fahrstuhlmusik nicht Stille entstehen zu lassen."

Der Sound war bis auf etwas zu dominant gehaltene Tieffrequenzen bei Bassdrum und Bass sehr ausgewogen. Störend war nur - das ist nicht Verschulden der Band oder des Toningenieurs -, dass es nicht wenige Gäste im Rücken des eigenen Standortes gab, die das ganze Konzert über laberten. Dafür besuche ich kein Konzert!  

Kai Wingenfelder begründete bei einer seiner Ansagen dem Publikum gegenüber noch einmal, warum WINGENFELDER beendet werden: FURY ist Familie und man kann nicht zwei Bands gleichwertig am Leben halten, wenn Personen in beiden Bands sind. Sie haben sozusagen nie Pause. Den nun bald freigestellten Bandmitgliedern kann man nur wünschen, dass sie weiterhin ein ordentliches Auskommen haben werden. Da WINGENFELDER (nun auch in der Rückschau auf die gesamte nachträglich konsumierte Diskographie) mit den deutschen Texten sehr gut funktionierte (auch wenn sie zu Beginn auch englischsprachige Lyriks auf ihren Alben hatten UND auch "Time To Wonder" sowie "Radio Orchid" auf der Tracklist hatten), wäre es, Vorbild DONOTS, vielleicht auch für FURY eine Option, der Muttersprache mehr Raum in den Liedern zu geben. Ohne der ausgrenzenden Deutschtümelei einer Partei das Wort zu Reden, ist die Fanbase FURYs deutlich überwiegend deutschsprachig. WINGENFELDER haben sich bewusst mit der Wahl der Muttersprache für die Texte von FURY abgrenzen wollen. Auf der anderen Seite ist wohl unstrittig, das es genug (einheimische) englischsprachige Rockbands gibt, so dass das Ende WINGENFELDERs ein Verlust ist im Bereich Rock und der Schlager bestimmend bleibt in der muttersprachlichen Unterhaltungsmusik.


Und dieses Konzert unterstrich: Sehr gute Musik und sehr guter Gesang kommt ohne Show aus. 
"Man hört auf, auf, auf wenn's am schönsten ist und man geht, geht, geht daß einen jemand noch vermisst man hört auf, auf, auf, wenn's am schönsten ist und man geht, geht, geht, solang einen jemand noch vermisst"
WINGENFELDER werden in der deutschsprachigen Rockmusik fehlen und vermisst werden, wenn ich den mittlerweile erschlossenen Backkatalog betrachte. Die Setlist lieferte da schon eine ziemliche gute Auswahl. Damit sind WINGENFELDER sind mit Ende der Tour Musikgeschichte. Gott sei Dank bleibt die veröffentlichte Musik. 

Also rufen wir: Le WINGENFELDER est mort, vive le FURY IN THE SLAUGHTERHOUSE. 

Ort

CAPITOL, Hannover

Kategorie

Setlist

01 SendeschlussTestbild
02 Verlieb dich nicht in mich
03 StarWars [Coversong, Autor: Ingo POHLMANN]
04 Der Planet ist bewohnt
05 Hey Cowboy
06 Aragona
07 Mitten im Leben
08 5ter Frühling
09 Keiner kommt hier lebend raus
10 Die Wand
11 Die Unperfekten
12 Perfekt
13 Revolution
14 Irgendwo ist immer Sommer
15 Springen in die Nacht [gemeinsam mit Norman Keil]
16 Klassenfahrt [gemeinsam mit Norman Keil]
17 Wenn’s am schönsten ist
18 Nie zu laut und null Beschwerden
19 Wenn die Zeit kommt
20 Beste Band der Welt
21 9 Leben
22 Der letzte Ricard von St. Malo

(Ich danke dem Kollegen Christoph von Metalglory für die Veröffentlichung der Setlist in seinem Konzertbericht; dennoch ohne Gewähr.)

Spielzeit

ca. 120 min (WINGENFELDER), ca. 30 min (NORMAN KLEI)

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Fotograf

Martin Thiem
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