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Vor allen Dingen Gitarristen, die Ende der 1980er/Anfang der 1990er, die E-Gitarre für sich entdeckten, sind in den Gitarrenmagazinen nicht um den Mann mit dem für den deutschsprachigen Raum lustigen appelativ-imperativen Nachnamen herumgekommen. Mit Blues Saraceno, mit einer auffällig im Karomuster lackierten Gitarre, Tony MacAlpine, Jason Becker (seit 1989, also mit 20, an der degenerativen Krankheit ALS erkrankt, mein Onkel starb dieses Jahr knapp acht Monate nach der Diagnose ALS), Marty Friedman u. a. gehörte er zu den jungen, hochtalentierten Shreddern auf Superstrats mit Floyd Rose Vibrato. RICHIE KOTZEN wurde Gitarrist bei POISON und später MR. BIG. Da ich beide Bands nicht hörte, beschränkte sich meine Wahrnehmung nur auf das in Gitarrenmagazinen beschriebene Wort und Bild. 
Erst 2021 erfolgte für mich die hörende Kenntnisnahme, nämlich über das Projekt SMITH/KOTZEN. Bevor ich IRON MAIDEN in meine musikalische Wahrnehmung aufnahm, war es der solierende Bruce Dickinson, über den ich Adrian Smith als hörenswerten Gitarristen aufklärte. Und deren gleichnamiges Debüt zeigte mir vor allen Dingen nicht nur RICHIE KOTZENs Klasse als Gitarrist und Komponist bzw. Multiinstrumentalist, sondern als Sänger. Cliffhanger: Dazu ein Appell am Ende des Reviewtextes. 

Der Albumtitel Nomad ist bezogen auf den stilistischen Inhalt des Albums sehr zutreffend. Oder um eine Küchenmetapher aufzugreifen: Der Küchenchef RICHIE KOTZEN serviert einen Kessel Buntes. So ganz leichte Kost ist es nicht, denn er verwendet Gewürze, die nicht beim ersten Zungenkontakt einen positiven Reiz auslösen, sondern nach mehrmaligem Konsum im Abgang. Nein, zum Kotzen ist es überhaupt nicht. 
Das Album hat sehr (hard-)rockige Aspekte (Cheap Shots, On The Table, Escape), dazu kommen R&B, Funk, Soul, Fusion (Insomnia, Nihilist) und Singer-Songwriter (This Is A Test).
Bei aller Raffinesse an der Gitarre (oder den Instrumenten), der Leichtfingerigkeit an den Läufen über das Griffbrett ist alles songorientiert und nicht selbstdarstellerisch wirkend wie es der ein oder andere Spitzengitarrist verursacht, der seine Begleitung gefühlt nur dazu hat, ihm das Rhythmus- und Harmoniefundament zu bereiten für wahrliche Soloeskapaden. Mich langweilt sowas. Auch der aktuell durch gegenwärtige TV-Werbespots als einzigartig beworbene Gitarrist MARCIN. Einzigartig? Er klingt nach Tim Henson (POLYPHIA) oder dessen vorbenannter Band. Spieltechnisch unstrittig anspruchsvoll, aber es klingt steril und seelenlos.  
Das ist bei RICHIE KOTZEN nicht so, da ist Soul drin. Die Basslinien sind verspielt und nicht unisono zu den Gitarrenparts (ganz im Stile seines Bass-Kumpels Billy Sheehan). 
Das nächste Lob zielt auf den Schlagzeugsound ab: Mustergültig ausgeglichene Frequenzen, lebendig klingend. Man nimmt auch nicht wahr, dass er bei zwei Nummern nicht selbst an der Schießbude saß. Und es ist kein 0815 getrommele. Ein anderer Multiinstumenatlist, nennen wir ihn LENNY "I'm going commando" KRAVITZ, ist da deutlich konservativer in den Fähigkeiten. 
Abschließend der Gesang: Seine mehrstimmigen Sätze entfalten Faszination (z. B. Insomnia). RICHIE KOTZEN ist gesegnet. Echt. 
Seine Stimme, sein Timbre, weckt sehr positive Erinnerungen an den leider erfolgreich Suizid verübt habenden Chris Cornell. Er klingt so wie er. Insofern schließe ich mit einem Appell Richtung den überlebenden Mitgliedern SOUNDGARDENs und AUDIOSLAVEs, den Managements beider Bands und RICHIE KOTZEN: Denkt mal darüber nach, ob ein Einstieg RICHIE KOTZENs nicht diese doch bedeutenden Bands zu alter Pracht wiederbeleben würde. Allein schon durch den Gesang. Dazu noch als Gitarrist von Weltklasse. 
Aber vielleicht genießt RICHIE KOTZEN auch die Freiheit des Nomaden... 
 
 
 
 

Kategorie

V.Ö.

27. September 2024

Label

BMG

Spielzeit

34:49 min

Tracklist

01 Cheap Shots
02 These Doors
03 Insomnia
04 Nomad
05 Escape
06 On The Table
07 This Is A Test
08 Nihilist

Line Up

Richie Kotzen - Gesang, alle Instrumente (bis auf die nachfolgenden Ausnahmen)
Dan Potruch - Schlagzeug bei Nomad
Kyle Hughes - Schlagzeug bei These Doors

Bewertung

1