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Interviews
Mit dem Totengräber in Hannover: Chris von GRAVE DIGGER im Interview
© Thorsten Zwingelberg

Diese ganze Retorten-Mucke zieht natürlich die Massen, wie man bei POWERWOLF oder SABATON sehen kann.
Für Chris zählt noch das echte Handwerk!

Mit dem Totengräber in Hannover: Chris von GRAVE DIGGER im Interview

Vor etwa einem Monat haben GRAVE DIGGER den ersten Teil ihrer Tour zum aktuellen Album „Bone Collector“, mit dem sich die Band ein Stück weit neu erfand indem sie sich auf ihre Tugenden besann, beendet. Im April geht es dann bereits wieder auf die Straße. Wir haben die Gelegenheit genutzt und Bandleader Chris Boltendahl vor dem Konzert in Hannover zum Gespräch gebeten, um über KI, alte Weggefährten und DIGGER zu sprechen.

Die Zeiten des ununterbrochenen Tourens sind vorbei, heutzutage beschränken sich die Shows auf verlängerte Wochenenden. Das dürfte aber auch Sinn ergeben, denn montags und dienstags brauchen auch Metalheads mal eine Pause und sitzen lieber auf der Couch. Bislang lief die Tour der Totengräber jedoch sehr zufriedenstellend: Viele Städte meldeten „ausverkauft“. Für Hannover galt das an diesem Mittwoch – nicht ganz unerwartet – nicht, eine fette Show sollte es dennoch geben.
„Wir spielen ja eine Oldschool Show, auch wenn das irgendwie antiquiert klingt“, beginnt Chris. „Wir spielen keine Songs aus der Ritt-Ära. Das hat sich einfach so ergeben. In den vergangenen zwei Jahren seit Axels Ausstieg haben wir ja auch viele der Songs noch gespielt, aber jetzt spielen wir nur drei neue Songs, zwei Songs aus der Manni-Ära und sonst alles aus der Zeit mit Uwe.“

Aus einer Übergangslösung, denn das war der Einstieg von Axel seinerzeit gewesen, wurden bekanntlich etwa 14 Jahre und sieben Alben. Insofern sind die Songs dieser Ära natürlich auch nicht für immer aus der Setlist verbannt, so Boltendahl.
Dennoch: der Bruch zwischen Chris und Axel zeichnete sich bereits seit einiger Zeit ab. Und daher war es wohl auch auf der Bühne mal Zeit für einen Relaunch.
„Mein Soloprojekt STEELHAMMER hatte Axel schon extremst missfallen und als ich dann „Symbol of Eternity“ auch noch selbst produziert habe, kam es zum Bruch, denn das fand er total scheiße. Allerdings hat Axel auch live musikalisch ziemlich abgebaut. Beim Songwriting gab es viel Stagnation und er hat viel eigenen Kram aufgewärmt“, kritisiert Chris. „Natürlich gehören da auch immer zwei dazu, aber wenn der Gitarrist ziemlich wenig Input liefert, dann wird es schwer. Als Toby dann das erste Mal das Solo von „Excalibur“ originalgetreu gespielt hat, da hatte ich Tränen in den Augen, weil ich das vierzehn Jahre in immer anderen Varianten gehört hatte.“
Axel Ritt ist derweil in anderen Gefilden unterwegs und versucht momentan mit seiner neuen Band JÄST, mit der er im vergangenen Jahr eine erste Single veröffentlichte, neu durchzustarten. Eine Zusammenarbeit mit GRAVE DIGGER hingegen dürfte erstmal ausgeschlossen sein, da die Freundschaft von Ritt und Boltendahl nicht im Guten auseinander ging. Und dass man in einem solchen Fall nicht unbedingt Freunde bleibt, hatte sich in der Vergangenheit bereits gezeigt, als Uwe Lulis (Gitarre), Tommi Göttlich (Bass) oder Stefan Arnold (Drums) gehen mussten.
„Bei Uwe und mir hat es 20, fast 25 Jahre gedauert, bis wir uns ausgesprochen haben“, resümiert Chris. „Aber ob ich mich jetzt in 25 Jahren nochmal mit Axel aussöhne, das weiß ich nicht. Von Tommi habe ich seit seinem Ausstieg eigentlich nichts gehört. Arnold hasst mich. Der hat es damals nicht verstanden, aber musikalisch hatte das schon seinen Hintergrund. Aber natürlich ist es immer doof für denjenigen, der gehen muss.“ Doch natürlich ist Chris der Kopf des Ganzen und insofern gibt er auch Marschroute und Ziel bei GRAVE DIGGER vor. Und mit Tobias Kersting (ex-Orden Ogan) war recht schnell ein neuer Mitstreiter gefunden.
„Der Tobi ist einfach ein totaler Heavy Metal Fan“, erzählt Chris. „Genauso wie ich auch, nur bin ich nicht mehr so extrem wie in den 80ern. Als sich herauskristallisierte, dass es mit Axel nicht mehr weitergehen würde, da habe ich Tobi angerufen und gesagt, dass ich mal mit ihm reden müsse.“
Natürlich werden solche Dinge nicht am Telefon besprochen, und so setzte sich Chris kurzerhand ins Auto und fuhr die eineinhalb Stunden zu Tobias, um ihn zu fragen, ob er neuer GRAVE DIGGER Gitarrist werden wolle. Die Antwort ist bekannt.
„Axel hat nicht ein Solo so gespielt, wie Uwe oder Manni sie komponiert hatten. Er hat immer seine eigenen Sachen eingebaut. Und Tobi spielt nun alles so, wie es auch eigentlich sein sollte“, zeigt sich der Bandboss zufrieden über seine Wahl für den Gitarrenposten.

So ändern sich die Zeiten. Vor 25 Jahren habe ich mit Chris am Telefon über die damalige Scheibe „Excalibur“ gesprochen. Im NO COMPROMISE 17 war dann das folgende Zitat zu lesen: „Uwe und ich haben uns entschlossen, nur noch Konzeptalben zu machen. […] Ich finde einfach, dass Konzeptalben besser zu Grave Digger passen und ich habe keinen Bock mehr, über Liebe, Tod und Teufel zu singen.“
„Genau“, lacht Chris. „Damals habe ich noch getrunken. Ich sage das heute nicht mehr so extrem. Ich wollte mit der neuen Platte zurück zum Signiture-Sound der Band. Einige nennen es Old-school, andere sagen „Back to the roots“, aber für mich ist es eigentlich der Originalsound, den die Band mal entwickelt hat. Dieser typisch deutsche, gradlinige In-Die-Fresse-Metal, für den wir bekannt geworden sind.“ Und Chris verrät, dass auch das nächste Album kein Konzeptalbum werden wird. Dass es nochmal eines geben wird, will der Ober-Totengräber aber auch nicht ausschließen. Da man sich allerdings nicht an der hohen Veröffentlichungsfrequenz der heutigen Vorband WARWOLF orientieren wolle, prognostiziert Chris, dass die noch erscheinende Zahl von GRAVE DIGGER Alben wohl überschaubar werden wird. Zunächst wird es im Sommer aber noch zwei neue GRAVE DIGGER Songs aus der „Bone Collector“-Session als digitale Veröffentlichung geben, bevor die Fans auch noch eine EP bekommen. Ansonsten liegt der Fokus bei den Teutonen-Metallern allerdings schon voll auf dem nächsten Album – dieses Mal jedoch ohne KI-Cover.
„Die Vorlage ist zwar wieder ein KI-Cover, aber ich möchte da so viele Änderungen haben, dass ich es komplett von einem Künstler umsetzen lasse.“, erzählt Chris, der für das mit KI erstellte „Bone Collector“ Cover einige Kritik hatte einstecken müssen. „In einem Jahr interessiert es ohnehin keine Sau mehr, ob eine Band ein KI-Cover hat oder nicht. Als wir „Heavy Metal Breakdown“ gemacht haben, hat das Cover 40 DM gekostet und wurde auf eine Leinwand gemalt. Später hat der Markus Mayer das dann alles perfektioniert und dann gab es schon Photoshop und die Künstler haben angefangen, die Sachen digital zu machen. Damals haben dann alle geschrien „Das ist doch keine Kunst mehr!“, genauso wie bei den Aufnahmen. Heute malt kein Künstler mehr etwas auf eine Leinwand, weil man dann eben nichts mehr verändern kann.“
Die Technik macht aber natürlich auch vor der Produktion nicht halt. Chris hat auch für „Bone Collector“ die Produktion übernommen und die Platte unterscheidet sich doch hörbar von denen der Ritt-Ära. „Wir haben uns sehr viel Zeit gelassen.“, erklärt Chris. „Für die Drums haben wir dieses Mal ein altes Ludwig Set genommen, welches ja in den 80ern ein klassisches Metal Kit war. Zudem wollte ich einfach wieder diese schneidende Gitarre haben und deshalb haben wir uns sowohl für die Gitarren als auch für den Bass viel Zeit genommen. Das Ergebnis klingt nun schon irgendwie alt, aber doch zeitlos.“

Eine weitere Realität in der Musikbranche sind Streaming-Dienste, die unter anderem wegen ihrer Abrechnungsmodalitäten oftmals in der Kritik stehen, da vor allem bei kleinen und mittleren Künstlern kaum etwas übrigbleibt. Dennoch scheinen diese Neuerungen, ähnlich wie Social Media, alternativlos.


„Genau“, erklärt Chris, „du musst da eben einfach mitmachen. Du hast gar keine andere Chance. Mein Sohn ist jetzt 18 Jahre und dem ist das Handy quasi an die Hand gewachsen. Die hören sich Songs 20-30 Sekunden an und gehen dann zum nächsten Titel. Das ist eine Entwicklung, die wir in unserem Alter vielleicht nicht schön finden, die wir aber akzeptieren müssen.“ Aus diesem Grund hat Chris die Social-Media-Kanäle in die Hände eines professionellen Social Media-Managers gegeben, um den entsprechenden Content zu erstellen. Einen Einfluss auf das Songwriting habe die Entwicklung jedoch nicht, erklärt Chris, der nach wie vor Songs so schreibt, wie er sie selber gerne hört: „Ich mag einen geilen Chorus und an erster Stelle steht immer ein geiles Main-Riff. Dementsprechend komponieren wir und bauen den Song um das Riff herum. Bei mir wirst du keinen Chorus nach 30 Sekunden bekommen.“

Beim Blick in die Konzerthallen erscheint es mir allerdings ohnehin eher so, als würde die GRAVE DIGGER Fan-Base vor allem aus mehr oder weniger in Würde gealterten Damen und Herren bestehen. Chris klärt auf: „Das ist witzig. Gerade bei den Wochenendshows waren jetzt viele junge Leute, vor allem Mädchen. Ich denke, dass da eine Entwicklung eingesetzt hat, bei der handgemachte Musik wieder attraktiv scheint. Diese ganze Retorten-Mucke zieht natürlich die Massen, wie man bei POWERWOLF oder SABATON sehen kann. Aber POWERWOLF sind für mich eben einfach eine Band ohne Bassisten und bei SABATON stehen die Keyboards im Vordergrund, obwohl die gar keinen Keyboarder haben.“
Doch ganz so schlecht sind die Verkaufszahlen für GRAVE DIGGER im Vergleich auch nicht. „Symbol Of Eternity“ war bis auf Platz 7 in die Charts geklettert und „Bone Collector“ hat es immerhin auf Platz 13 gebracht. Seltsam ist das insofern, als dass das neue Album ja das deutlich stärkere ist.
„Das hat damit natürlich gar nichts zu tun“, erklärt der Bandboss. „Es zählt ja nur der Umsatz, und ROAR Records haben damals direkt ein Media-Book mit einer Live-CD gemacht und eine limitierte Box, was einem allein schon sechs oder sieben Chartplätze bringt. RPM haben ROAR mittlerweile übernommen und die haben es einfach dieses Mal nicht hinbekommen. Zudem gab es die Digi-CD bei Amazon lange nur für 20€ und das kaufen die Leute dann nicht. Wir haben allein über unsere Plattform 500 CDs verkauft, da wir sie für 14.99 € angeboten haben. Das macht sich dann alles natürlich bei den Umsätzen bemerkbar.“
Da konnten auch die verschiedenen Vinyl-Versionen nichts mehr retten und der Aufenthalt in den Charts dauerte nur eine Woche. Chris stellt jedoch klar: „Ich habe lieber 600 Leute im Konzert, als dass ich einmal auf Platz 7 charte. Für den Geldbeutel macht die Chart-Platzierung auch gar keinen Unterschied, da machen sich eher die 600 Leute beim Konzert bemerkbar.“

Ende der 80er Jahre hatte Chris allerdings doch mal mehr auf Chart-Platzierungen geschielt, in der Hoffnung, ganz groß rauszukommen. Das Ergebnis war dann jedoch das vorläufige Ende von GRAVE DIGGER, denn der Ausflug in rockigere Gefilde unter dem Namen DIGGER ging bekanntlich ordentlich in die Hose. „Stronger Than Ever“ ist jedoch das einzige Album des GRAVE DIGGER Kosmos, welches nie offiziell auf CD erschienen ist. Die Rechte liegen heute allerdings bei BMG England und eine Veröffentlichung des DIGGER Albums scheint momentan nicht geplant zu sein. „In Russland gibt es die DIGGER auch auf CD“, erzählt Chris, der auf den Russland-Touren mit GRAVE DIGGER schon die verschiedensten Varianten des Albums unterschrieben hat. Andere Länder, andere Sitten. Auch in Griechenland wurde in den 90ern ja fröhlich im Plattenladen vervielfältigt, um dann die Tapes unter die Leute zu bringen. „Wir waren in den 90ern in Griechenland relativ bekannt. Wir haben da vielleicht 600 Exemplare der „Tunes Of War“ verkauft und auf den Konzerten waren dann 3000 Leute und haben unsere Songs mitgesungen“, wundert sich Chris.
Aber auch das Tourgeschäft ist lange kein Selbstläufer mehr und bei einem Konzert in der Wochenmitte, so wie an diesem Mittwoch in Hannover, bleibt für die Band eigentlich nichts über. „Die Musiker und die Crew sind mehr oder weniger alle selbstständig und wir sind so eine Art Konsortium. Wenn ich die alle anstellen würde, wäre das viel zu teuer.“

Bleibt die abschließende Frage nach Zielen und Wünschen, die es mit GRAVE DIGGER noch zu erreichen gibt. Und da zeigt sich Chris, wie eigentlich immer, sehr bodenständig und realistisch: „Ich wünsche mir, dass bald in Russland und der Ukraine wieder Frieden herrscht und dass die Szene irgendwann, wenn Putin vielleicht mal weg ist, auch wieder offen für Konzerte ist. Momentan ist daran natürlich gar nicht zu denken. Wir haben gerne und oft in Russland und der Ukraine gespielt und diese Regionen sind letztlich als Markt für uns weggebrochen. Meine Promoterin fragt mich manchmal, ob ich Bock darauf habe, ein Interview mit einem russischen Magazin zu machen. Warum denn nicht? Die Leute können ja nichts für diesen ganzen Müll.“ Und obwohl GRAVE DIGGER eher keine politische Band sind, ist man auch im Lager der Totengräber nicht vor Anfeindungen gefeit. „Nach dem „The Devils Serenade“-Video haben wir auch einen Shitstorm bekommen, weil die Puppe, die wir im Video zertrümmern, aussähe wie Trump. Könnte aber auch Boris Johnson sein oder eben einfach nur eine Puppe.“ Und beide genannten Politiker hätten eine kleine Abreibung sicherlich verdient. Wie schnell ein Shitstorm losbrechen kann, sieht man dieser Tage auch bei IRON SAVIOR, die von einigen Trump-Anhängern wegen ihrer Absage beim PROGPOWER 2025 kritisiert werden. Und auch PRIMAL FEAR müssen sich offenbar einige ausgesprochen unangebrachte Kommentare gefallen lassen: Nicht nur, weil sie derzeit nicht in die USA kommen, sondern auch, weil sie eine farbige Musikerin in der Band haben. Verrückt. Insofern ist es schön, dass GRAVE DIGGER mit „Bone Collector“ ein absolut bodenständiges Heavy Metal Album abgeliefert haben, mit dem man sich bestens von den ganzen Irren da draußen ablenken kann.
 
Line Up
Chris Boltendahl (Vocals)
Jens Becker (Bass)
Tobias Kersting (Guitar)
Marcus Kniep (Drums)
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