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Wacken Open Air 2022
Lange mussten Metalheads aller Herrenländer auf das 31. Wacken Festival warten. Lange war unklar, ob und in welchem Rahmen der Holy Ground wieder gestürmt und bevölkert werden darf. Lange haben die beiden Gründerväter Thomas Jensen und Holger Hübner überlegt, ob sie ein Festival in Pandemiezeiten verantworten können. Das Ergebnis ist letztlich überraschend klar ausgefallen: “Wir müssen das machen!*“ Die Beiden sehen sich in der Verantwortung als Vorreiter der Metal Festivalszene zu beweisen, dass ein Event dieser Größenordnung durch Liebe und Rock’n’Roll getragen, auch heuer, ohne Negativschlagzeilen funktionieren kann.
Nun ist es endlich wieder soweit. Das Organisationsteam des Wacken Open Air (WOA) hat nach zwei vergeblich geplanten Festivals in Folge endlich wieder ein GO von den Behörden bekommen. Ob das Festival in den zwei Jahren voller Ungewissheit und Unsicherheit angenommen worden wäre, werden wir nie erfahren. Dieses Jahr sind wir jedoch einen Schritt nach vorne gegangen und haben begonnen, mit der Pandemie umzugehen und zu leben. Vielleicht der richtige Zeitpunkt, den Behörden und sich selbst den Beweis zu erbringen, dass das schönste Event des Jahres auch in COVID-Zeiten möglich ist.
Unter diesen Vorzeichen besinnt sich das Organisationsteams nun erst einmal auf seine Wurzeln und ist darum bemüht das Wacken Festival wieder auferstehen zu lassen und ein solides Fundament für die kommenden Jahre aufzubauen. Die Wacken Winter Nights wird es in dieser Saison nicht geben.
*Statement von Thomas Jensen auf der WOA Pressekonferenz
Mittwoch
Es ist erst Mittwoch Mittag und wir sind einigermaßen überrascht uns bereits vor der „kleinen“ Doppelbühne im Bullhead City beim Metal Battle wiederzufinden. Normalerweise würden wir noch unsere Zelte aufschlagen, doch dieses Jahr ist das WOA in einem Versuch erstmals um einen Tag verlängert, um noch länger Metal zelebrieren zu können.
Der Metal Battle ist einer der spannendsten Newcomer-Wettbewerbe der Metalszene. Er besteht aus einem Vorentscheid in vielen Ländern unseres Globus und einer Endrunde in Wacken. In dieser dürfen sich die Landesgewinner auf dem WOA messen. Dem Gewinner winkt ein Plattenvertrag. Das Format kommt so gut an, dass wieder einmal eine Erweiterung in noch nicht erschlossene Länder geplant ist. Die Wacken-Gründer betonen immer wieder, mit diesem Format der Szene etwas zurückgeben zu wollen, damit diese weiter wachse und gedeihe.
Unseren Anfang macht heute der kroatische Vertreter KRYN. Wäre die Bandherkunft nicht bereits über die Landesflagge auf den Bühnenleinwänden angekündigt worden, hätte es uns spätestens Sänger
Karlo Horvat vermuten lassen, da er äußerlich einem Winnetoufilm entstammen könnte. Mit Einsetzen seiner leichten, kratzenden Growls schwenkt man gedanklich jedoch schnell wieder zu KORN
Frontmann Jonathan Davis um. Auch musikalisch lehnt hier einiges an den Kaliforniern an. Auch wenn das Quintett es versteht eine eigene Note mit einfließen zu lassen, kann es einen ordentlichen, doch keinen besonderen Eindruck hinterlassen. Alles in allem kommen die Songs noch zu grob und ungeschliffen daher. Es bleibt ihm zu wünschen, das KRYN seinen Weg konsequent fortsetzen und finden wird.
Weiter geht es mit V.I.D.A., die wir im neuen Bullhead City Biergartens genießen dürfen. Gerade für die kleinere Bands scheint dieser Ort der Erholung sinnvoll platziert zu sein, da die Festivalbesucher beim Entspannen, Essen und Trinken nebenbei auf diese jungen, kleineren Bands aufmerksam werden können. Die argentinische Kombo wäre sonst an uns vorbeigegangen. Umso schöner, dass wir sie sozusagen als Bierbonus kennenlernen durften. V.I.D.A bringen südamerikanischen Flair in den kalten Norden und erinnern mit ihren Rythmen an SEPULTURA, ihrer direkten und cleanen Art zu spielen an SLAYER. Auf der Bühne lassen die Jungs nichts missen, doch bleibt mir die Band ID noch verborgen.
LYCANTHROPE hingegen zeigt, dass man keinen Namen braucht, um auf allen Ebenen zu überzeugen. Im Fahrwasser des Aufschwungs der australischen Metalszene reiht sich die Kombo nahtlos ein. Hier passt alles von den Riffs, brachialen Hooks, melodischen Gitarrenlinien bis hin zu einem erstklassigen Gesang, gepaart mit tiefen Growls und erschütternden Screams. Kurzum: Die australische Band wird Ihren Weg gehen und sei jedem ans Herz gelegt, der mit Bands wie UNEARTH oder CALIBAN warm geworden ist.
Insgesamt überraschen uns die jugendliche Frische und das Gesamtniveau des Metal Battles positiv, auch wenn einige Kontrahenten noch wahrnehmbar in den Kinderschuhen stecken. LYCANTHROPE werden wir schnell auf den großen Bühnen sehen.
Auf der Wasteland Stage luden SURGICAL STRIKE zum Mittags-Thrash ein. Zu Beginn der Show wollten die Fans noch nicht so richtig den Weg in Richtung Bühne finden, was sich aber zum Glück bald änderte. Wäre auch schade gewesen, da die Band eine super Performance ablieferte und es Sänger Stöpsel wie ein Großer verstand, die Menge zu begeistern.
Wir lassen den Kampf der nächsten Generation hinter uns und ziehen zum Mittelalterdorf, dem Wackinger weiter, wo wir bereits von der ersten “professionellen“ Band NOTHGARD erwartet werden. Diese vereint eine Basis à la CHILDREN OF BODOM mit einer Mischung aus Folk- und Power Metal, untermalt von einem Hintergrundchor. Die Bayern regen regelmäßig zum Mitgrölen sowie Met- und Kirschbierkonsum an und erreichen die Menge spätestens mit dem epischen „Lightcrawler“. Insgesamt haben sie die Wackinger Stage locker im Griff, vermögen es aber dennoch nicht, sich vom Metal Battle abzuheben.
Weiter geht es mit Gloryhammer… oder eben auch nicht. Diese kommen gerade noch rechtzeitig für vier Songs auf die Bühne. Man könnte meinen, die Schweizer arbeiten mit Hochdruck an einer gemeinsamen WOA-Historie. Nachdem sie bereits 2019 wegen Unwetter nicht spielen konnten, verpasste die Kombo dieses Mal den Flieger, stand stundenlang im Stau, um ohne Anlauf direkt auf der Bühne performen zu müssen. Erstaunlicherweise gelingt ihnen das problemlos, jeder der vier verbliebenen Songs wird zelebriert und der Kurzauftritt zu einem wahren Fest.
Bühne frei für das musikalische Urgestein MICHAEL MONROE. Dieser steht die nächsten 75 Minuten für Rockparty und kann voll mit seiner Mixtur aus Glam-, Punk- und Bluesrock überzeugen. Der finnische Sänger ist glamourös und beherrscht die Bühne in seinem zarten Alter von nunmehr fast 60 Jahren mühelos. Neben seiner überzeugenden Stimme springt er vom Lautsprecherturm, bringt mehrere Spagate ein, um musikalisch dann wie nebenläufig mit Mundharmonika und Saxophon zu überzeugen. Selten haben wir einen so schillernden Frontmann gesehen und kann nun verstehen, wie Projekte mit Guns‘N‘Roses entstanden sind. Auf der persönlichen Ebene bleibt ihm zu wünschen, dass die Transgender-Bewegung dazu beigetragen hat, dass er als Mann mit einem Faible fürs Schminken, weniger Abneigung erfährt.
Abgeschlossen wir der Abend von THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA. Das Nebenprojekt von Sänger Björn Ove Strid lässt den Poprock der 80er erfolgreich aufleben. Schnell hat der Spaß, der von der Bühne überschwappt, die letzten harten Töne der Vorband verdrängt uns es bietet sich uns ein seltenes Bild: Harte Metaller tanzen und schunkeln voller Freude mit. Spätestens mit „Sattelite“ brechen die letzten Dämme und die Party kommt richtig in Schwung. Über „Gemini“ geht es zum gefeierten Klassiker “West Ruth Ave“. Wie schon im Vorjahr wird dieser gefühlt 30 Minuten lang - mindestens aber dreimal so lang - gespielt, damit das Publikum ausreichend den Night Train zelebrieren kann. Für jeden, der noch nicht teil dieses Spaßes sein durfte: Der Night Train ist angelehnt an die klassische Polonäse aus der Schlagerwelt, es wird jedoch mehr aus dem Fußgelenk gefedert als beim Original. Es bleibt abzuwarten, ob dieser die Big Three der Bewegung einer metallenen Menschenmenge (Circle Pit, Wall of Death, Moshpit) eines Tages erweitern wird. Unsere Unterstützung haben sie schon mal.
Donnerstag
Der Wacken Donnerstag stand in den vergangenen Jahren immer für den klassischen Rock und Metal. Ob dieser bei gefühlten 35 Grad immer noch zündet, bleibt herauszufinden. An unserem ersten Act THUNDERMOTHER wird es jedenfalls nicht liegen. Die Schwedinnen legen volles Brett los und feuern mit „Into The Mud“, „Back In 76“ und “Hellavator“ eine Rocknummer nach der anderen ab. Wer meint, die Band wäre mit der Neuformierung 2017 nur noch ein Abklatsch ihrer selbst, wird hier schnell eines besseren belehrt. Die vier Damen sprühen vor Energie und haben sichtlich Spaß daran, auf der Bühne zu stehen. Wenn sie diese mit auf ihre Tour übertragen können, wird ihnen sicher der ein oder andere SCORPIONS- oder WHITESNAKE-Fan verfallen.
Auch dem Songwriting hat der Wechsel gut getan, da dieser die Integration aller Bandmitglieder in den kreativen Bereich mit sich brachte. Mit der neu gewonnenen Breite finden sich natürlich mehr Einflüsse und Ideen in den Stücken wieder.
Trotz eines starken Auftritts gelingt es uns nicht vollends, die Energie und den Spaß aufzugreifen, da die Hitze heute erdrückend ist. Schnell wünschen wir uns eine Wasserstelle herbei. Da die nächstgrößere hinter dem Notausgang wartet, der nur als Ausgang passiert werden darf, entscheiden wir uns doch gegen Erfrischung und Zwangsspaziergang. Auf der Suche nach Alternativen an den Getränkeständen fällt auf, dass das neue und eigens für die Louder Stage geschaffene Gelände, überlastet zu sein scheint. Vielleicht ist THUNDERMOTHER für die „kleine“ Bühne doch eine Nummer zu groß oder das Verhältnis von Bühne zu Gelände und Angebot nicht passend. Hier sollte das WOA-Team noch mal genauer hinsehen.
Nach THUNDERMOTHER zieht es uns zu der bereits gespoilerten aber nicht minder gut gelungenen Überraschung: Die Wickinger um Johann Hegg, AMON AMARTH, geben sich unter dem Pseudonym GUARDIANS OF ASGAARD die Ehre, um mit uns Ihre Releaseparty für das neue Album zu feiern. Unerwarteterweise erscheinen die Jungs auf luftiger Höhe auf das von Wickingern flankierte Tor zwischen den Bühnen, um uns eine halbe Stunde lang richtig einzuheizen. Mit „Guardians of Asgaard“ legen die Schweden dann auch richtig los. Live Premieren dürfen bei einer Releaseparty natürlich auch nicht fehlen, die hier mit „Get In The Ring“ und „ The Great Heathen Army“ bedient werden. Die Stimmung fährt dann aber mit den Klassikern „Twilight Of The Thunder God“ und „The Pursuit Of Vikings“ noch mal richtig hoch. Auch wenn man den Kurzauftritt nicht mit einem Konzert von AMON AMARTH als Headliner gleichsetzen kann, hat diese Überraschung unseren Tag bereichert. Vielen Dank!
Das Zepter wird von über 40 Jahren Metalerfahrung übernommen. MERCYFUL FATE haben aus Progressive Rock, Hard Rock und Heavy Metal ihren eigenen Stil geformt, der Einfluss auf einige der großen Acts der 80er Jahre ausüben sollte. Unter anderem inspirierten sie KREATOR, MORBID ANGEL, DEATH und METALLICA. Und diese eigene Note zelebrieren sie auch noch nach diversen Umstellungen und der zwischenzeitlichen Bandauflösung. Für den Auftritt in Wacken wurde eigens Gitarrist Joey Vera von Fates Warning integriert, um den 2019 verstorbenen Timi Hansen adäquat ersetzen zu können, da die Songauswahl stark von Hansen geprägt wurde und ein ähnlicher Spielstil als Grundvoraussetzung gesehen wurde.
Highlights des Abends bilden der Klassiker „Evil“ und das tragende „Come To The Sabbath“. Frontmann King Diamond verwundert immer wieder mit der Leichtigkeit, wie er der Kopfstimme durch den Wechsel zur Bruststimme Volumen verleiht. Ein würdiger Headliner-Support an diesem inzwischen mit Blick auf die Temperaturen angenehm gewordenen Donnerstag Abend.
Das große Finale dieses Tages übernehmen JUDAS PRIEST mit ihrem 50 jährigen Jubiläum. Unvorstellbar, wie Rob Halford mit seinen fast 70 Jahren immer noch die Bühne beherrscht und rockt. Die Hitsammlung in den 50 Jahren kennt keine Grenzen. „Lightning Strike“, „Turbo Lover“ und das unvergleichliche „The Sentinel“ sind schon in der ersten halben Stunde durch und wir beginnen bereits uns zu fragen, was da noch kommen kann. Kurz darauf beweisen die Herren aus dem Herzen der britischen Metallverarbeitung Birmingham mit „A Touch Of Evil“, „Diamonds And Rusts“ und „Painkiller“, dass sie noch eine Schippe drauf legen können. Als ob das nicht schon genug wäre, holen die Herren uns bei der Zugabe mit „Hell Bent For Leather“, Breakin The Law“ und „Living After Midnight“ vollends aus der Reserve. Während wir die Engländer noch ausgelassen feiern, verabschiedet man sich ganz bescheiden mit „We Are The Champions“ vom Band. Was war das für ein cooles Konzert! Nun könnte Wacken eigentlich vorbei sein… aber Moment, wir haben ja noch zwei Tage.
Ein kleines Manko hat dieser epische Abschluss doch noch, da wir später von verärgerten Fans erfahren sollen, dass viele Freiräume im Infield nicht genutzt wurden, Fans bis zu einer Stunde vor dem Eingang auf den Einlass warten mussten. Wenigstens konnten Sie das Konzert in der Zeit schon mitnehmen.
Freitag
In Gedanken immer noch bei den Altmeistern von Judas Priest ziehen wir den Freitag wie bereits am Mittwoch zur unchristlichen Mittagszeit zu KISSIN‘ DYNAMITE los und fragen uns, wieso das Infield vor den Hauptbühnen so früh schon so voll sein kann (ca. 40.000). Bis hierhin kennt man die Kombo mit der Auskopplung „Not the end of the road“ und „I‘ve got the Fire“ aus dem Radio. In der Vorbereitung auf das WOA erinnerten wir uns an unsere erste Begegnung mit Frontmann Hannes Braun, bei der er noch den Eindruck erweckte, sich auf einem Selbstfindungstrip zu befinden. Der Sänger einer kleinen Band, der mehr Glanz, Glamour und Rock‘N‘Roll ausstrahlen wollte, als er und seine Band zu dem Zeitpunkt waren. Seither sind nun einige Jahre vergangen und wir müssen Abbitte leisten. Immer noch ein wenig skeptisch vor der Bühne stehend, zieht uns schon der Opener mit. Und auch die nächsten Titel bringen uns ins Grübeln. Frontmann Hannes Braun scheint nicht nur seriös geworden zu sein, sondern strahlt eine Sympathie aus, die man so nicht erwartet hätte. Dazu beherrscht er auf eine angenehme Art den Moment. So muss man eingestehen, sich geirrt zu haben. Hier steht einer der kommenden Großen vor uns. Gepaart mit der Eingängigkeit, Direktheit und Klarheit der Songs für eine breite Masse zugänglich, sehen wir eine Band vor uns, die bald Headliner, vielleicht sogar zu groß für Wacken sein wird. Hier wird noch klassischer Rock voller positiver Energie zelebriert. Schön zu wissen, dass das WOA diese Entwicklung begleitet und eine Beziehung aufbaut, die dann hoffentlich in der Zukunft ausreichen wird, KISSIN‘ DYNAMITE weiterhin nach Wacken zu holen. Die positive Energie der Band hat den schlechten Beigeschmack des vorschnellen Urteils längst weggewischt und es verbleibt ein gutes Gefühl noch einem großartigen Auftritt. Chapeau, KISSIN‘ DYNAMITE, ihr habt uns wahrlich eines besseren belehrt.
Nach diesem Hammer wird es für alle anderen Bands des Tages schwer zu punkten. Wir geben diese Chance BLACK INHALE auf der kleinen Wasteland Stage vor dem offiziellen Gelände. Die Wiener mit Ihrer eigenen Interpretation aus Hardrock und Death Metal legen von Anfang an mit „Escape Room“ und „The Pessimist“ vor einer zu anfangs noch überschaubaren Menge alles in die Waagschale. Ein wenig mehr Publikum gewinnt BLACK INHALE auch mit dem beherzten Auftritt, doch die Lage am Rande des Festivalgeländes lässt hier nicht viel zu. Auffallend ist der geniale Track „The Final Sorrow“. Leider bleibt uns heute „My Wish 2 Bleed“ verwehrt. Inhaltlich abgerundet wird der Gig durch den Song „Resilience“, der schon dem Namen nach die eigene Widerstandsfähigkeit thematisiert. Der Wandel der Arbeitswelt der letzten Dekade wäre schon Grund genug, dieses Thema in den Vordergrund zu stellen, Buzzword Burnout. Mit den Belastungen der Pandemie hat das Thema nochmal eine andere, weitaus tiefere Bedeutung bekommen. Wir sollten Arbeitnehmer und Familien soweit möglich bei dieser Mehrbelastung unterstützen, vor Überlastung schützen.Vor dem Hintergrund wäre es begrüßenswert, das Spektrum der Resilienz eng mit der Arbeitswelt zu verknüpfen.
Gedanklich wieder beim Set angekommen fällt auf, dass Raffael Trimmal seine gesanglichen Qualitäten nicht voll entfalten kann. Vielleicht würde hier ein zweiter Gitarrist weiterhelfen. Immerhin ist der markante Gesang eindeutig das Trademark der Band.
Einge Twilight Kollegen zog es wieder in die Mittagshitze zur Wackinger Stage. SASCHA PAETH´S MASTERS OF CEREMONY bei ihrem ersten Wacken-Auftritt. Alle die AVANTASIA kennen und die Band am Mittwoch Abend auf der Louder Stage gesehen haben, waren sicherlich verblüfft, dass nun fast die gesamte Band hinter Tobi Sammet auf der Bühne steht. Allen voran Sascha Paeth, Songschreiber und Produzent vieler Avantasia Songs, Drummer Felix Bohnke, Sängerin Adrienne Cowan und Basser Andre Neygenfind. Mit dem großen Unterschied, dass Adrienne Cowan bei dieser Formation ganz vorne auf der Bühne steht und nicht "nur" im Background-Chor zu hören ist.
Die Spielzeit von einer Stunde war dann auch ausreichend, um einen guten Mix aus beiden bisher veröffentlichten Alben zu präsentieren. hier hat Adrienne Cowan gezeigt, dass sie auch als Frontfrau bestehen kann.
Von der „Minibühne“ zieht des uns zurück auf Faster Stage, dem linken Teil der großen Doppelbühne, zu den Göttern des Death Metal HYPOCRISY, nur um die Enttäuschung des Festivals zu erleben. Was vom (nennen wir es mal) Sound bei uns ankommt geht gar nicht. Sind wir doch auf dem falschen Festival gelandet? Seit Jahren lobpreisen wir zurecht die vorbildlichen Voraussetzungen auf dem WOA für kleine und große Bands, da über alle Bühnen hinweg Sound und Licht stimmen und dann so etwas auf einer der großen Bühne? Wir versuchen der Sache eine Chance zu geben und meinen sogar den Klassiker „Eraser“ erkennen zu können, drehen dann aber doch ab und geben dem Biergarten den Vorzug. Wäre KISSIN‘ DYNAMITE nicht gewesen, unsere Laune wäre hart auf dem Boden aufgeschlagen. So verbleibt nur Mitleid mit den Männern um Peter Tägtgren, die hier Vollgas geben und (wie wir schon erleben durften) mit dem richtigen Sound immer dazu in der Lage sind, einen unvergesslichen Abend einzuleiten.
Aber vielleicht würde es bei BEHEMOTH besser werden. Und es wurde...Die Twilight Kollegen hatten Glück und konnten Adam "Nergal" Darski und seine Mannen bei einen top Sound genießen.
Bei maximal einem Bier resümieren wir mit unseren neu gewonnen Tischfreunden den vergangenen Tag und bekommen unsere Meinung bestätigt, zu wenige Wasserstellen auf dem Infield zu haben. In Anbetracht der Wetterprognose verwundert dieser Rückschritt, da dies bei den WOAs 2018 und 2019 bereits gut gelöst war. Wir mutmaßen nur leise und sind positiv der Annahme, dass die Wasserstellen der Restrukturierung des Geländes zum Opfer gefallen sind. Wie wir die Veranstalter kennengelernt haben, werden diese das Besucherfeedback aufnehmen und auswerten und schon 2023 wieder besser aufgestellt sein. Beim WOA stand bis hierhin immer der Fan im Mittelpunkt.
Mitten im Sinnieren werden wir erneut überrascht, da HÄMATOM schon heute die Bühne stürmen. Untermalt von Dudelsäcken ihrer befreundeten Band IN EXTREMO gibt es eine halbe Stunde lang die bandtypische Mischung aus Zorn und Dagegen. So lässt es sich im Biergarten aushalten.
IN EXTREMO übernehmen dann auch das Zepter und die Verantwortung von HYPROCRISY und leiten einen großen Wacken Abend ein. Wie das letzte Einhorn, Frontmann Michael Robert Rhein, mit einem Augenzwinkern feststellt, kann sich die Truppe nach 25 Jahren es auch leisten, mit „Vollmond“ ihren größten Hit früherer Tage auch mal am Anfang des Sets zu spielen. Mit „Unsichtbar“ und dem gesellschaftskritischen „Quid Pro Quo“ geht es auch dann mit Volldampf in die Gegenwart, um mit „Rasend Herz“ und „Sängerkrieg“ gleich wieder in der Zeit zurückzuspringen. Die Band genießt es spürbar wieder auf der Bühne stehen zu dürfen und reißt alle mit diesem Elan und der natürlich großartigen Stimme des letzten Einhorns mühelos mit. Nach KISSIN‘ DYNAMITE qualitativ der zweite - wenn auch inoffizielle - Headliner des Tages, ermöglicht durch den inzwischen wieder hervorragenden Sound der Faster Stage.
Derart aufgewärmt erwarten wir gespannt den ersten WOA-Auftritt von SLIPKNOT. In den 90ern stand die Formation aus Iowa neben Korn und Limp Bizkit als Synonym für Metal und die Wiederauferstehung einer ganzen Szene. In den letzten Jahren wurde es ein wenig ruhiger um die Männer mit den Masken. Umso erfreulicher, dass sie heuer das WOA beehren. Schon bei „Disasterpiece“ verliert sich die Menge im Headbangen. Man meint, die Band müsse erst mal ein Statement setzen, dass man keine Radiopop-Band, sondern eine ernstzunehmende Metal Band sei. Danach gehen SLIPKNOT es doch mit den melodiösen „Wait And Bleed“ und „Before I Forget“ ein wenig ruhiger an. Über den modernen Metal aufgreifenden „The Dying Song“ und „Unsainted“ geht es dann über “Duality“ zurück zu alter Härte mit „People = Shit“ und „Spit It Out“. Wir können uns nicht so richtig entscheiden, was gewaltiger ist. Die Drums, Corey Taylors Stimme, die mitreißenden Songs? Am Ende ist es völlig egal, was SLIPKNOT abliefert ist groß und verlangt nach einer Wiederholung. Umso mehr erfreut es uns, dass Corey Taylor ankündigt wiederzukommen, wenn wir sie wieder willkommen heißen wollen (idealerweise mit Stone Sour im Gepäck). Ein neuer Wacken-Headliner ist geboren. Wir freuen uns, dass diese längst überfällige Beziehung, heute Ihren musikalischen Anfang gefunden hat. An dieser Stelle müssen wir dem WOA-Team huldigen, da diese Wacken-Wand, diese gewaltige Doppelbühne, immer wieder Konzerte für die Ewigkeit ermöglicht. Vielen Dank, WOA-Team!
Nun noch schnell mit Twilight-Cheffe Hübner zu MANTAR an die W.E.T.-Stage. Wir hatten das Duo aus Bremen länger nicht Live sehen können und waren daher höchst erfreut, das am heutigen Abend nachholen zu können. Mit ihrer unverkennbaren Position (Auf der Bühne gegenüberstehend) und nur mit Gitarre und Drums, konnten die beiden wieder einmal die Fanschaar mit ihrem rotzigen Back Metal Doom Punk begeistern.
Der Abend soll jedoch noch nicht vorbei sein, da mit THE HALO EFFECT noch die Originalformation von IN FLAMES die Bühne betreten soll. Leider kann Jesper an diesem Abend noch nicht dabei sein. Dennoch ist es unglaublich, wie diese neu formierte Band in Wacken begrüßt und gefeiert wird, ohne ein vollständiges Album released zu haben. Die nächste starke Stunde ist auch geprägt von der Spielfreunde der neuen Kombo. Man spürt, dass hier gute alte Freunde ein Herzensprojekt angehen dürfen. Sänger Mikael Stanne, der den meisten Fans eher durch DARK TRANQUILLITY bekannt sein dürfte, gibt einem wieder einmal das Gefühl, nur für einen persönlich zu spielen und dabei die ganze Welt umarmen zu wollen. Am bekanntesten dürften wohl die bereits veröffentlichten „Shadowminds“ und das von doppelten Gitarrenlinien geprägte „The Needless End“ sein. Hätte der Sound nicht wieder einmal auf der Faster Stage zu wünschen übrig gelassen, würden wir nach diesem Abend vielleicht diese „Newcomerband“ in einem Atemzug mit SLIPKNOT nennen. So war es leider nur gut und es bleibt ein Beigeschmack. Dennoch geht ein schöner Abend zu Ende. Wieder einmal könnte das Festival bereits vorbei sein und alles wäre gut. Aber da wartet ja noch ein Samstag auf uns.
Samstag
Danko Jones zu zu beschreiben, ohne ihn erlebt zu haben, ist nicht leicht. Danko ist die Bühne, die Bühne ist Danko. Der Frontmann, dessen Namen die Band übernommen hat, wirkt wie ein hochintelligentes, total durchgeknalltes Duracell-Häschen. Er zelebriert jeden Auftritt von Anfang bis Ende, wobei er es meisterlich versteht seinen permanenten Sexismus so charmant zu verpacken, dass dieser auf Gegenliebe beim Publikum stößt. Musikalisch steht das Trio für einfachen, direkten, ins Ohr gehenden Rock. Denkt man in Genren, findet man noch Anleihen an Punk Rock und Hard Rock. Jeder Auftritt ist bei Danko auch eine Party. So geht es auch heute mit „I Gotta Rock“ und „First Date“ sehr flott los. „You are my Women“, “Had Enough“ und „I Want Out“ runden die Party ab bevor Danko das Konzert mit dem Song der Kultnummer „My Little RnR“ beschließt.
Von der Partymeile ziehen wir weiter ins düstere Tal. Dorthin scheint die Bull Head City durch AUDN mit einem Schlag versetzt worden zu sein. Von der ersten Tönen an, umhüllt uns eine besondere Stimmung und Atmosphäre, die es sogar schaffen die Hitze und den Sonnenschein vergessen zu lassen. AUDN selbst bezeichnen Ihren Stil als atmosphärisch Black Metal. Einen Einschlag in den Doom Bereich können sie jedoch auch nicht leugnen. So nimmt uns diese junge Band in eine Welt voller Trauer, Wut, Hass und Tränen mit. Erst mit dem Verklingen der letzten Töne, nach gewaltigen 45 Minuten, finden wir wieder ins Diesseits zurück. Ein WOA Höhepunkt 2023! Wer Alcest liebt, wird den Isländern vermutlich auch einiges abgewinnen können, wenn diese auch rauher und düsterer klingen.
Später werden wir noch den späten Slot für eine solch junge Band diskutieren, um festzustellen, dass diese seit dem WOA Metal Battle 2017 (dritter Platz) vom WOA weiter begleitet und gefördert wurden. Wir ziehen den Hut vor Gründer Thomas Jensen, der sich maßgeblich um die Bandauswahl und -verhandlungen bemüht, für dessen Mut und Rückendeckung für junge Bands.
Unser Headliner des Abends, ARCH ENEMY, bedürfte vermutlich keiner einleitenden Worte mehr. Seit über 25 Jahren begeistern die Schweden mit melodiöser Härte. Besonders hervorzuheben sind ihre harmonischen Gitarrensoli und natürlich der Umstand, mit HOLY MOSES zusammen eine der ersten Death Metal Bands mit einer Frau am Mikrofon gewesen zu sein. Angela Gossow hat sich als erste Sängerin der Band hier schon Denkmal gesetzt. Dennoch gab ihr Rückzug in die Rolle der Managerin der Band aus familiären Gründen der Band noch mal einen Schub, da Alissa White-Gluzz noch mal einen neuen Glanz in die Band bringen konnte. Sie ist noch präsenter, noch abwechslungsreicher und stärker am Mikrofon. Von ungefähr kommt das natürlich nicht, da Gossow die damals junge Sängerin mit ausgebildet hat. Mit ihr haben Arch Enemy den letzten Schritt zum Festival-Headliner gemacht und begeistern seither nicht mehr bloß eingefleischte Todesmetaller.
Die Mischung ist heute sehr geprägt vom neuen Kapitel der Band, da viele Songs des aktuellen Releases „Deceivers“ in den Gig mit einfließen. Mitunter gibt es „Deceiver, Deceiver“, „Handshake With Hell“ oder die Live Premieren von „In The Eye Of The Storm“ und „The Watcher“ auf die Zwölf, die allesamt der Zeit Gussows entstammen. Wie dem auch sei, ARCH ENEMY sind Power und Melodie. Dem Konzert ist nur eine Grenze gesetzt, nämlich die Belastbarkeit unserer Nackenmuskeln. Wir sind verwundert, wie viele bei diesem Programm ruhig bleiben können, stören uns aber nicht daran, da wir ja gerade erst festgestellt hatten, dass ARCH ENEMY nun auch die breite Masse trifft. Abschließend wollen wir noch anerkennend festhalten, dass es mit Songs wie „Nemesis“ auch noch solche gibt, die Angela besser zu Gesicht standen und die Band ohne sie diese Entwicklung vermutlich nie durchlaufen hätte.
Gerade erst angefangen, ist das WOA 2022 für uns auch schon wieder vorbei. Mit INFECTED RAIN steht unser letzter Act auf der Bühne, der es noch einmal ordentlich krachen lässt. War soeben noch das Headbangen Programm, so hält uns bei INFECTED RAIN nichts mehr. Elena Cataraga steht der Frontfau von ARCH ENEMY in nichts nach und pushed uns eine Stunde lang über den Holy Ground. Vor sich selbst macht das Energiepaket auch keinen halt und fegt wie ein Derwisch über die Bühne, ohne kraftlose Growls, Screams oder cleane Vocals zu offenbaren. Letztere denken wir zuerst als Schwäche ausgemacht zu haben, bis wir verstehen, dass die Sängerin ihre moldawischen Wurzeln stilistisch mit eingebunden hat. Bei „Goodbye“ und „Orphan Soul“ beweist sie eindrucksvoll, dass sie keine gesanglichen Schwächen zu besitzen scheint. Mit der Mischung aus Nu Metal und Melodic Death Metal treibt das Quintett die Fans eine Stunde lang von einem Circle Pit, zum Moshpit und wieder zurück. Bei der Wall of Death merkt man dann doch, dass hier gerade erst eine neue Beziehung entsteht, da eine Ballade nicht die glücklichste Wahl ist und die Todeswand einfach nicht so richtig Ihren Anfang finden will. Das unterstreicht noch mal die Qualität der Band, den Holy Ground mit Neufans dermaßen in Bewegung zu bringen. Wer sich nun motiviert fühlt, in die Band reinzuhören, dem sei gesagt: Geht hin und erlebt sie. Die Alben sind leider sehr clean produziert. Die Kraft dieser Band kommt nur im Ansatz beim Hörer an.
Kraftlos, ausgepowert und glücklich verlassen wir das Infield ein letztes Mal für dieses Jahr. Was bleibt von dieser Woche?
Fazit
Wieder einmal hatten wir das WOA Line-up vorab umsonst in Frage gestellt und wurden glücklich und zufrieden hinterlassen. Mit SLIPKNOT hat man einen weiteren großartigen Headliner für die Zukunft gewonnen, ARCH ENEMY haben wieder einmal ihre Qualitäten in diesem Bereich unter Beweis gestellt, JUDA PRIEST sich würdig von dieser Bühne verabschiedet. Hängen geblieben sind KISSIN‘ DYNAMITE, AUDN und INFECTED RAIN als große Versprechen für die Zukunft, während der Metal Battle einige weitere neue Bands aufgezeigt hat, die einen Blick lohnen. Vor allem wer sich auf Neues einlassen will, ist in Wacken immer gut aufgehoben und wird reicher nach Hause gehen als er gekommen ist. Eingeschränkt wurde dieses insgesamt musikalisch sehr runde Bild nur von der teilweise fraglichen Soundqualität auf der Faster Stage. Als Teil der großen Wand, darf das nicht über mehrere Acts hinweg passieren. Dies sind wir vom WOA so nicht gewohnt. Das Festival war bis dato immer unsere Referenz in Sachen Soundqualität. Die Bull Head City hingegen hat mit der Wegnahme des Zelts erfreulicherweise noch mal soundtechnisch zugelegt. Die “kleine“ Wand ist zur ernsthaften Konkurrenz zu den Hauptbühnen gewachsen.
Das Gamerzelt (eSports) von 2019 ward nicht mehr gesehen aber auch nicht vermisst. Der Farmers Market ist wieder ein richtiger Schritt Richtung Nachhaltigkeit und Selbstversorgung. Mit dem Anziehen der Preise auf dem Infield, wird hier auch an Lösungen gearbeitet, wie die Selbstversorgung vor Ort auch mit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sichergestellt werden kann.
Die Höheren Preise verstehen wir als Folge der derzeitigen Herausforderungen der Welt, die auch an den Essensanbietern nicht spurlos vorbeigegangen sind. Mit einer steigenden Inflation und nach zwei Jahren Festival-, Volksfeststop müssen diese auch erst mal wieder auf die Beine kommen. Die Angebotsqualität war insbesondere auf dem Wackinger wieder durchgehend hoch.
Alles in allem durften wir wieder Teil eines großartigen Events sein, was einmal mehr durch den selbstlosen Einsatz vieler ehrenamtlicher Mitarbeiter erst möglich wurde. Besonders hervorzuheben sind auch die vielen freiwilligen Sonderschichten der Festivalärzte, die in den letzten zwei Jahre ohnehin schon am Limit gelaufen sind und dennoch unterstützen wollten. Laut Einsatzkräften hatten sich alle wieder lieb und es ist im Verhältnis zur Größe des Events wieder einmal nichts passiert. Die Polizei hatte schon scherzhaft mit dem Gedanken gespielt, im nächsten Jahr gleich zu Hause bleiben, da die Rate der Auffälligkeiten um weitere 60% im Vergleich zum Niveau von 2019 gesunken Ist. Ein Zusammenhang zur flächendeckenden Einführung des Cashless Payments liegt nahe.
Das WOA 2022 war wieder einmal ein Highlight, das WOA 2023 kann kommen!