Auf zerfetzten Schwingen 'gen Wunden-Ozean...
AUTUMNBLAZE & LILJEVARS BRANN
2024 war für Euch ein unglaublich produktives Jahr. Ihr habt mit “Auf zerfetzten Schwingen” das insgesamt neunte AUTUMNBLAZE-Album veröffentlicht. Mit LILJEVARS BRANN ist zudem ein äußerst interessantes Nebenprojekt ans Licht gekommen. Wie blickt Ihr auf das abgelaufene Jahr zurück?
Markus: Ich muss etwas ausholen, um deine Frage zu beantworten. “Auf zerfetzten Schwingen” haben wir im Frühjahr 2022 geschrieben und aufgenommen, das Liljevars Brann sogar schon 2021. Ich würde also 2024 nicht unbedingt als produktives Jahr betrachten, obwohl wir auch in diesem Jahr nicht untätig waren. Nenn es Zufall oder Schicksal, dass beide Alben im gleichen Jahr erschienen sind. Wir haben natürlich die VÖ-Termine mit unserem Label Argonauta Records abgestimmt. Daher war es relativ früh klar, wann welches Album an der Reihe ist.
Wie zufrieden seit Ihr rückblickend mit “Auf zerfetzten Schwingen”? Es ist Euer erstes Album, welches mit komplett deutschen Texten erschienen ist, obwohl Ihr seit Anbeginn Euren Schaffens immer den Bezug zur Muttersprache hattet. Schließlich ist Euer Debut unter dem Titel “Dämmerelbentragödie” erschienen. Ich sehe “Mute Boy Sad Girl” (2002) als Euer mit melancholischstes Album an, “Auf zerfetzten Schwingen” strahlt wie kein anderes Frustration und Resignation aus und ist somit für mich Euer “deprimiertestes” Album. Inwieweit könnt Ihr meine Auffassung nachvollziehen?
Markus: Ich kann das durchaus nachvollziehen, wobei “Bleak” und “Perdition Diaries” wohl auch in die letztere Kategorie gehören. Aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Ich bin sehr zufrieden mit “Auf zerfetzten Schwingen”. Es ist ein Album mit einem klar durchdachten Konzept. Von der Musik bis zu den deutschen Texten und zum genialen Artwork hin, für das sich Friederieke Myschik selbst übertroffen hat. Du musst wissen, dass das Album sehr spontan entstanden ist. Die Songs wurden quasi über Nacht komponiert und die Texte wie im Fieber geschrieben. Daher hat es etwas sehr Eindringliches und auch Unperfektes an sich. Es ist wie eine Ansammlung aus Tagebucheinträgen.
Arisjel: Mir bedeutet “Auf zerfetzten Schwingen” sehr viel. Es ging mir aus privaten Gründen ziemlich mies in dieser Zeit und da hat mir die Arbeit an dem Album wirklich sehr viel geholfen und es hat gut getan, dass mein inneres Empfinden sich auch in der Musik ausdrücken lies. Außerdem ist mir mit “Zerfetzt” einer meiner bislang besten Texte gelungen.
“Auf zerfetzten Schwingen” ist nun vor rund einem Jahr erschienen. Was gab es rückblickend für Reaktionen von Fans, Presse und von Eurem Label Argonauta Records? Das Album war Euer zweites in Kooperation mit dem italienischen Label. Welche Unterschiede gibt es bei der Zusammenarbeit mit Euren bisherigen Labels Pulverised Records (“Every Sun Is Fragile” – 2013) und Prophecy Productions (1999-2009)?
Markus: Ich glaube, man kann die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Labels gar nicht miteinander vergleichen, da das Musikgeschäft sich in den letzten Jahrzehnten extrem gewandelt hat. Prophecy Productions war unser erstes Label und das nimmt immer einen wichtigen Platz in unserem Herzen ein. Wir haben damals viel Zeit am damaligen Labelsitz in Zeltingen verbracht, wo auch die Klangschmiede von Markus Stock beheimatet war, so dass ein sehr freundschaftliches Verhältnis bestand. Mit Argonauta Records ist der Austausch leider nur auf Mails beschränkt, die aber von Anfang an immer sehr freundschaftlich und kooperativ waren. Das ist natürlich der geografischen Entfernung geschuldet.
Arisjel: Mit Pulverised hatten wir auch nur per Mail Kontakt. Calvin und Roy waren zwar etwas chaotisch, aber sie haben voll und ganz hinter “Every sun is fragile” gestanden und das Album mit Priorität behandelt.
Markus: Die Reaktionen der Presse waren eigentlich sehr gut, wobei das Album bei einigen Magazinen gar nicht erst rezensiert wurde, was ein wenig enttäuschend war. Bei den Fans waren die Reaktionen durchaus gemischt. Einige liebten die Platte sofort, andere brauchten etwas Zeit. Ich denke “Auf zerfetzten Schwingen” ist nicht das typische AUTUMNBLAZE-Album, obwohl es viele typische AUTUMNBLAZE-Momente hat. Dennoch ist es anders, weniger einhüllend und möglicherweise mit mehr Ecken und Kanten versehen. Und möglicherweise auch mit Themen, die man gerne vergessen möchte. Die aber zu wichtig sind, um sie nicht anzusprechen.
Arisjel: Vielleicht haben manche von unseren Fans die tröstenden Elemente vermisst, die eigentlich irgendwo immer auf unseren Alben zu finden sind. Alle denen es so ging, können sich dann schon auf unser nächstes Album freuen. Ich habe aber auch Rückmeldungen bekommen, dass gerade die schonungslose Direktheit von “Auf zerfetzten Schwingen” begeistert hat.
Aus einigen öffentlichen Reaktionen konnte und kann man lesen, dass Ihr mit der derzeitigen Situation von AUTUMNBLAZE alles andere als glücklich und zufrieden seid und dass hinter der Zukunft der Band durchaus große Fragezeichen stehen. Worin liegt das begründet? Was wünscht Ihr Euch, was müsste anders laufen? Wären Live-Auftritte eigentlich noch einmal eine Option, AUTUMNBLAZE wieder einem breiteren Publikum zugänglich zu machen?
Markus: Ach, da sollte man nicht zu viel hinein interpretieren. Wir haben mit AUTUMNBLAZE immer einen Weg verfolgt, der uns an den Rand von verschiedenen Szenen gedrängt hat. Für Metal Fans waren wir nie Metal genug, für Gothic Fans nie Gothic genug usw. Was ich damit sagen will. Manchmal frustriert es, dass es im Musikbiz scheinbar oft darum geht, bestimmte Genreregeln zu erfüllen und wenn man das nicht tut, kommt König Ignoranz. Wir folgen den Regeln bewusst nicht, sondern sind immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen.
Arisjel: Wir haben für uns schon lange beschlossen, dass wir den Regeln des Musikbuisiness nicht mehr folgen. Mit unseren Möglichkeiten im Homestudio zu arbeiten sind wir auch absolut unabhängig. Wir entscheiden wie lange wir aufnehmen und wo wir unsere Alben mixen und mastern lassen. Aus dieser Perspektive sind wir sogar sehr glücklich mit unserer Situation. Alles kann, nichts muss könnte so eine Art Motto für uns sein.
Markus: Interessant, dass du den Live-Faktor ansprichst. Jahrelang habe ich mich dagegen gewehrt, aber im Moment kommt Bewegung in die Sache. Ich kann noch nicht zuviel verraten, aber es könnte bald eine Ankündigung folgen.
Trotz aller Frustration hat Euch das nicht davon abgehalten, 2024 mit einer zweiten, neuen Band in den Ring zu steigen. “Helja Kor”,Euer Debut mit LILJEVARS BRANN wurde im September über das Argonauta-Sublabel Octopus Rising veröffentlicht. Wann und wie kam es zur Gründung dieses Projektes?
Markus: Rückblickend würde ich es als Eingebung bezeichnen. LILJEVARS BRANN hat eine Leere in uns gefüllt, die wir zwar immer verspürt haben, jedoch nie benennen konnten. Ursprünglich hatte ich die Idee, ein episches Black Metal Projekt zu machen. Mit dem Gedanken im Kopf hat sich aber alles schnell in etwas Anderes verwandelt. Die Vision waren lange Kompositionen, die zehn Minuten mindestens sein sollten. Zusätzlich habe ich mir eine Mischung aus Schreien und archaischen Gesängen vorgestellt. Und das Wichtigste war, dass die Songs unmittelbar aufgenommen werden sollten. Quasi vom Kopf direkt ins Pult. Eigentlich wie ein Demo. Wir wollten sozusagen die Magie und Ursprünglichkeit des Songwritings an sich einfangen.
LILJEVARS BRANN hat mich nicht nur absolut positiv überrascht, sondern das Album hat gegenüber “Auf zerfetzten Schwingen” für mich sogar die Nase vorn, auch wenn der direkte Vergleich natürlich hinkt. Welche Bands sind denn die Haupteinflüsse für “Helja Kor”? Wäre es nicht möglich gewesen, diese Einflüsse in den Sound von AUTUMNBLAZE zu integrieren? So war “Perdition Diaries” (2009) doch beispielsweise auch ein stark schwarzmetallisch geprägtes Album.
Markus: Ulver – Bergtatt - das war der Hauptgedanke am Anfang. Weil es für mich auch heute noch DAS eine magische Album aus der frühen 90er-Ära ist, das für mich immer noch relevant ist, neben “Transilvanian Hunger” natürlich. Warum also nicht AUTUMNBLAZE? Weil sich LILJEVARS BRANN ganz anders anfühlt. Es ist eine eigene, besondere Welt. Und du wirst merken, dass wir auch auf zukünftigen Alben diesen etwas kauzigen Weg beschreiten werden.
Beim Bandnamen LILJEVARS BRANN, beim Titel “Helja Kor” sowie bei allen anderen Songtexten handelt es sich um Lyrics in einer Phantasiesprache. War das von Anfang an so geplant? Lassen sich der Bandname und die Titel in die deutsche Sprache übersetzen? Wenn ja, wäre ich gespannt…
Markus: Ganz klares Ja. Die Phantasiesprache war von Anfang an Teil des Plans. Wenn ich normalerweise Songs schreibe, beginne ich meistens mit Akkorden auf der Akustikgitarre und singe dazu irgendeinen Nonsens, um erstmal eine Melodie zu finden. Das war der Ausgangspunkt. Daraus entstand die Idee, spontan Worte zu schreiben, die zusammen ein Klangbild, eine bestimmte Atmosphäre, ergeben, die aber eigentlich keinen direkten Sinn ergeben. Es hat sich jedoch gezeigt, dass dadurch viele unbewusste Erinnerungen und Gefühle zu Vorschein kommen. Und das hat mich dazu inspiriert, diese Phantasietexte für Liljevars Brann zu verwenden. Ja, und selbst der Bandname sollte ein mysteriöses Klangbild sein, das man nicht direkt übersetzen kann.
Neben der eigentümlichen Musik mit ihrer Mischung aus Progressivität, Romantik, Black Metal-Ausbrüchen und Folk, lebt LILJEVARS BRANN einmal mehr durch wunderschönen Schriftzug und das überrragende Artwork von Friederieke Myschik. Es zeigt einen insektenähnliches Wesen, welches verbunden mit dem Wurzelgeflecht durch einen mytischen, dunklen Wald wandert. Was hat es mit dem Geschöpf auf sich. In welcher Verbindung steht das Artwork mit Musik und Texten?
Arisjel: Musik, Texte und Artwork sind alle Teil eines ganzen Kosmos; den wir in einem Buch beschreiben, das wir noch nicht veröffentlicht haben.
Markus: Genau, als das Artwork fertig war, haben wir zusammen eine Hintergrundgeschichte geschrieben. Inspiriert durch Bandname, Logo und Cover. Die Kreatur auf Letzterem spielt eine entscheidende Rolle und der Name LILJEVARS BRANN bekommt in der Geschichte eine essentielle Bedeutung.
Wären zwei Bands nicht schon genug, geistert seit dem vergangenen Jahr der Name eines weiteren Projektes durch den Underground. WUNDENOZEAN wäre das dritte im Bunde und würde in gewisser Weise die Brücke zurück zu Paragon Of Beauty schlagen. “Wundenozean” war die erste Single, die ihr mit der Band 1997 veröffentlicht habt und auch der Opener vom Debut “The Spring”, das 1998 via Prophecy Productions erschien. Woran sind seinerzeit Paragon Of Beauty eigentlich gescheitert und was dürfen wir von WUNDENOZEAN zukünftig erwarten?
Arisjel: Der Bandname soll nicht den Eindruck erwecken, dass dieses Projekt in Richtung Paragon Of Beauty geht. Es ist etwas völlig anderes, wozu Markus gleich noch etwas mehr erzählen wird. Wir haben dem Scheitern von Paragon Of Beauty ein befreiendes Denkmal in “Perdition Diaries” gesetzt, welches die teilweise sehr persönlichen Gründe aus meiner Perspektive thematisiert.
Markus: WUNDENOZEAN entstand aus der Idee heraus, sehr einfache und kurze melodische Black Metal Songs mit deutschen Texten zu schreiben. Das Wort WUNDENOZEAN ist für mich das perfekte Sinnbild für das Leben. Erst durch die Wunden, die man erfährt, wird man zu dem, der man ist. Das Scheitern von Paragon Of Beauty ist wohl auch diesem Wundenozean geschuldet. Die Gründe sind sehr persönlich.
Was waren 2024 Eure Highlights, nicht nur in musikalischer Hinsicht? Worauf hofft Ihr und was wünscht Ihr Euch für 2025? Abschließende Worte an unsere Leserschaft?
Arisjel: In musikalischer Hinsicht waren für mich natürlich die Highlights die Arbeit an WUNDENOZEAN, dem zweiten LILJEVARS BRANN-Album und dem nächsten AUTUMNBLAZE-Album. Mich hat das ein Stück weit am Leben gehalten bis dann Ende dieses Sommers eine für mich lange Nacht endete, weil ein lieber Mensch völlig unerwartet in mein Leben zurück gekehrt ist und eine große Lehre gefüllt hat. Bei euren Lesern möchte ich mich für ihr Interesse an uns danken.
Markus: Die Arbeit an neuer Musik war auch letztes Jahr ein besonderes Highlight. Ein Wunsch für 2025 wäre, dass die Menschen wieder als Gesellschaft mehr zueinander finden und dass die grausamen Kriege ein Ende finden.
Vielen Dank Jens für das ausführliche Interview! Es hat mich gefreut.