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Eistnaflug 2015
| Martin Storf | Eistnaflug
Wenn man nach Island fliegt, dann diese Insel einmal zu Hälfte umrundet, an malerischen Wasserfällen, stinkenden Geysiren und riesigen Vulkanlandschaften und Gletschern vorbei nach Osten fährt, bis es nicht mehr weitergeht, dann noch einmal links abbiegt, über Schotterpisten und durch einen unheimlichen einspurigen Tunnel fährt, dann hat man es irgendwann geschafft: Man ist in der zweitgrößten Stadt Ostisland (1.400 Einwohner) namens Neskaupstaður. Diese liegt am Ende eines Fjordes circa 730km von der Hauptstadt Reykjavik entfernt und bietet, neben der Landschaft, als Highlight ein Krankenhaus und eine Fischfabrik. Und eben das EISTNAFLUG-Festival, das seit über zehn Jahren als größtes Metal-Event der Insel nunmehr über 3.000 Menschen in dieses malerische Örtchen lockt.
Im Jahr 2015 hat Veranstalter Stebbi einen weiteren Quantensprung gewagt und zum ersten Mal die örtliche Sporthalle angemietet und mit der Buchung von 11 internationalen Bands einen neuen Rekord aufgestellt. Zum Glück findet ein Großteil der Veranstaltung indoor statt, denn auch im Hochsommer wird es nachts mal 5°C kalt. Laut Ortsansässigen ist der Regen aber normalerweise 3 Grad wärmer. Von dem Schnee auf den umliegenden Bergen nicht abgeschreckt, sind die meisten auswärtigen Besucher mit Zelt oder Camper angereist und der Islandpullover mit besonderen Mustern, wie Totenköpfen und Schafen, ist allgegenwärtig. Da der Ort so klein und die Isländer sehr hilfsbereit sind, macht es auch nichts aus, dass nichts ausgeschildert ist und die Running Order öfter mal geändert wird.
Tag 1
Inzwischen ist das Festival auf vier Tage angewachsen, so dass es schon mittwochs mit einem All-Ages-Konzert, hauptsächlich für die lokale Bevölkerung, losgeht. So spielen THE VINTAGE CARAVAN und vier weitere Bands zu familientauglicher Zeit ein Best-Of-Set, zu dem zahlreiche Eltern mit ihren kopfhörertragenden Kindern erschienen sind. Diese spielen aber öfter lieber Fangen zwischen den Zuschauern, als dem erdigen Retro-Hardrock des „Headliners“ zu lauschen. Trotz der fehlenden Altersbeschränkung gibt es schon den lokalen Schnaps, eine Mischung aus finnischem Salmiaki in den man noch einen Pfeffie geschüttet hat. So hat man nach jedem Schluck zwar einen Lakritzgeschmack im Mund, aber immer einen frischen Atem. Bier gibt es nur in 0,5er-Dosen, wohl zur Unterstützung der Aluminiumfabrik im Nachbarort, für schlanke 1.000 Isländische Kronen (etwa €6,80). Da man alles (wirklich alles) mit Kreditkarte bezahlt (ohne PIN hat man verloren) ist das aber nicht so schlimm. Die Rechnung kommt ja erst in vier Wochen, und das Umrechnen ist eh viel zu kompliziert.
Nach dem Ende des All-Ages-Konzerts bleibt Zeit, die Verkaufs- und Futterstände zu begutachten: Vor der Sporthalle ist ein großes Zelt aufgebaut, in dem man den Merch für das Festival (Hoodie für 50€ inklusive Festival-Slogan „Sei kein Idiot“ auf Isländisch) und der lokalen Bands und Headliner, sowie allerlei Krimskrams und Zeichnugnen erwerben kann. Zum Essen gibt es Lasagne, Reis, Pasta und Salate, sowie zahlreichen Süßkram, das man auf den zahlreichen Bierbänken verzehren kann. Sehr gut ist der Free Refill beim Kaffee, wobei dieser im lokalen Kaffeehaus um Klassen besser schmeckt. Dort erfahren wir auch die wahre Bedeutung des Festivalnamens, da die EISTNAFLUG-Spezialmenü-Karte von einem flügeltragenden Hodensack gekrönt wird. Fliegende Eier halt.
Der musikalische Teil des Abends wird mit zwei Special-Events fortgesetzt: Zuerst vertonen SÓLSTAFIR einen isländischen Filmklassiker namens „Hrafninn flýgur“ (=Wenn der Rabe fliegt) neu. Während auf der großen Leinwand der Film mit, glücklicherweise, englischen Untertiteln läuft, sitzen die Musiker der Band rechts und links neben dieser und spielen Varianten ihrer Stücke, vor allem vom letzten Album Ótta. Der Film selbst ist ein Wikingerfilm, indem viel durch die grandiose isländische Landschaft geritten wird, so dass die getragenen, epischen Klänge von „Lágnætti“ und „Ótta“ perfekt damit harmonieren. Die Begleitung ist natürlich hauptsächlich instrumental, lediglich ab und zu lässt Sänger Adi einen Schrei los.
Als zweites Special haben sich THE VINTAGE CARAVAN Verstärkung geholt um das psychedelische Rock-Meisterwerk „Lifun“ der isländischen Band TRÚBROT von 1971 neuzuinterpretieren, das die Band maßgeblich beeinflusst hat. Die junge Gruppe bekommt dabei Unterstützung von einem zweiten Keyboarder, Frauengesang und Querflöte. Vor allem das einheimische Publikum zeigt sich dabei recht textsicher und singt die öfter folkigen Refrains mit. Den Musikern macht dieser wohl einmalige Auftritt sichtlich Spaß, auch wenn bis zum Ende die Halle nur noch eher locker gefüllt ist.
Tag 2
Der frühe Nachmittag des Donnerstags gehört den lokalen isländischen Bands, wobei besonders die zu Recht hochgelobte Black-Metal-Nachwuchs-Gruppe AUÐN heraussticht.
Die erste auch außerhalb Islands einem größeren Personenkreis bekannte Band ist KONTINUUM, die mit ihrem vor wenigen Monaten veröffentlichten Zweitwerk „Kýrr“ zahlreiche gute Kritiken einheimsen konnten. Gleich der erste Song dieses Albums, „Breathe“, wird auch heute als Opener gespielt. Als einer der wenigen Songs mit englischen Refrain, kann dieser auch vom nicht kleinen Anteil ausländischer Gäste mitgesungen werden. Im weiteren Verlauf des Konzerts überzeugt die Band mit ihrem mehrstimmigen Gesang beider Sänger und ihren ruhigen Stücken, die mehr als einmal an THE CURE erinnern.
Eine ganz andere Baustelle sind da die Engländer CONAN, die versuchen mit ihrem krachigen Doom die Eigenfrequenz der Halle zu treffen und sie so zum Einsturz zu bringen. Während des Auftritts vibriert wirklich alles, inklusive des Publikums, und zu dritt machen sie mehr Alarm als andere mit der doppelten Anzahl an Musikern. Insgesamt fehlt es der Musik allerdings etwas an Abwechslung.
Das kann man von den Griechen ROTTING CHRIST nicht behaupten, auch wenn die letzten Alben in meinen Augen etwas geschwächelt haben. Aber wer Klassiker wie „Khronos“ zu seinem Portfolio zählen kann, brauch sich über die Songauswahl eh wenig Gedanken machen. Dazu kommen dann noch neue Stücke wie „Garndis Spiritus Diavolos“ und „In Yumen/Xibalba“, und als Abschluss „Noctis Era“, die den Status der Band als eine der führenden Melodic Black Metal-Gruppen untermauern. Ein routinierter, aber kein überragender Auftritt.
Als Headliner des Abends geben sich die Death Metal-Veteranen CARCASS die Ehre, einen ihrer seltenen Auftritte zu absolvieren. Inmitten der in Heartwork-Optik austaffierten Bühne spielen sich die alten Herren rund um Bill Steer und Jeff Walker durch ihre Setlist aus alten Grind- und neuen Death Metal-Stücken. Den Anfang machen Neuwerke wie „Captive Bolt Pistol“ und „Buried Dreams“, bevor auch alte Kracher wie „Incarnated Solvent Abuse“ und „No Love Lost“ den einen oder anderen Alt-Rocker anerkennend das Bier heben lassen. Insgesamt zeigt die Band, dass ihre Reunion Ende der 2000er die richtige Entscheidung war und sie zahlreichen jüngeren Kollegen immer noch zeigen können, wo der (Chirurgen-)Hammer hängt. Und auch das Publikum ist restlos begeistert und verwandelt die Halle in ein Tollhaus.
Aber das Highlight des Abends kommt noch: Die Lokalmatadoren SÓLSTAFIR betreten die Bretter. Keine Band hat wohl öfter auf dem Eistnaflug gespielt, so dass sie quasi zum Inventar gehören. Und diese Band live vor heimischen Publikum zu hören ist etwas ganz anderes, als wenn man sie in der großen weiten Welt erlebt. Natürlich ist die Setlist ähnlich: Viele Songs von „Ótta“, „Svartir Sanda“ und natürlich „Fjara“ dürfen nicht fehlen, „Goddess of Age“ wird als letzter Song gespielt. Was diesen Auftritt jedoch zu etwas Besonderem macht, ist die Menge vor der Bühne: Jeder Song kann mitgesungen werden und es wird eine große Party gefeiert. Wenn mehrere tausend Leute so emotionale Songs wie „Fjara“ mitsingen, dann erzeugt das eine Gänsehaut nach der anderen. Isländisch müsste man können! Und dass Sänger Adi Crowdsurfing macht, erlebt man auch nicht alle Tage. Was für ein Auftritt!
Tag 3
Die Nacht war kalt, nass und kurz. Die fehlende Dunkelheit tat ihr Übriges. Auch wenn der Veranstalter und die örtliche Feuerwehr anbieten, dass man bei ihnen seine Sachen trocknen kann, verhindert dies nicht, dass viele inzwischen mit dem ortsüblichen Island-Schnupfen durch die Gegend laufen. Die bestgenutzten Wärmequellen sind allerdings die Whirlpools des Schwimmbads, das an diesem Wochenende wohl neue Rekordbesucherzahlen verkünden kann.
Musikalisch machen wir uns diesmal auf, das „alte“ Eistnaflugvenue Egilsbùð zu entdecken. Kaum vorzustellen, dass das gesamte Festival bisher in diesem Hotel-Restaurant stattfand. Zur frühen Mittagszeit verirren sich nur eine Handvoll Menschen in den umgebauten Kinosaal, die den Auftritt von K. FENRIR nicht verpassen wollen. Dieser Solokünstler wandelt auf den dronigen Pfaden von SUNN O))) und Konsorten und veranstaltet mit seinem Laptop und einer Gitarre ein Soundinferno, das von den Meisten nur im Sitzen oder Liegen zu bewältigen ist. Von der Soundwand vollständig umschlossen schreckt das Publikum erst dann auf, als Herr Fenrir anfängt zu Brüllen.
Auf dem Rückweg zu MOMENTUM werden wir von einer, im wahrsten Sinne des Wortes, Garagen-Band angezogen, die neben einem Wohnhaus reinsten Achtziger-Hairmetal zum Besten gibt. Die zahlreichen Anwesenden vor der Garage lassen sich durch die eher grenzwertige Qualität des Dargebotenen nicht stören, sondern entern bei Hits wie „Holy Diver“ lieber selbst die „Bühne“ um ins Mikrofon zu grölen. Das ist Party pur und zeigt, dass auch die Anwohner ihren Spaß haben.
Zurück in der Sporthalle hat man während des Auftritts von LIGHTS ON THE HIGHWAY, die etwas theatralischen Indierock im Loungestil spielen, der auch in jedem Hotel-Aufzug laufen könnte, Zeit, den einen oder anderen Tausender in Gerstenkaltschalen und nicht ganz so leckere Burger zu investieren. Die Isländer an sich sind ja ein sehr umweltfreundliches Völkchen und man sieht nirgendwo Dreck rumfliegen, aber die Menge Müll, die sie mit Aludosen, Fast-Food-Verpackungen und Einwegtüten etc. fabrizieren, ist jenseits aller Vernunft.
Im Anschluss hat man die Möglichkeit, THE VINTAGE CARAVAN zum dritten Mal zu bestaunen. Damit der dritte Auftritt nicht zu langweilig wird, haben die Jungs beschlossen, diesmal als Mädels aufzutreten. Das heißt, alle Bandmitglieder treten in Strumpfhosen, kurzen Röcken und mit Lippenstift und schicken Frisuren vor das Publikum, was ein großes Hallo hervorruft. Gerade Sänger Óskar bekommt den einen oder anderen schmachtenden Blick zugeworfen. Musikalisch bleibt natürlich alles beim Alten und die Band zeigt, dass sie zu recht auch schon außerhalb Islands ihre Meriten verdienen durfte und unter anderem auf dem letztjährigen Summer Breeze-Festival die Menge gerockt hat. Nicht zu glauben, dass dieser energetische Rock im Stil der Siebziger von Anfang-Zwanzigern aus Island gespielt wird. Die Power auf der Bühne überträgt sich nahtlos auf das Publikum, das bei Songs wie „Crazy Horses“ ziemlich austickt, so dass am Ende auch der schönste Rock verrutscht und die kunstvollste Frisur ruiniert ist. Auftrag erfüllt!
Da man VALLENFYRE sicherlich noch auf dem einen oder anderen Sommerfestival erleben wird, zieht es uns wieder in das Off-Venue, wo ein besonderes Event auf dem Plan steht: Nach dem letztjährigen Auftritt in einer inzwischen abgerissenen Fabrikhalle soll dort der zweite Teil der ÚLFSMESSA zelebriert werden. Dafür haben sich Mitglieder der isländischen Black-Metal-Bands MISÞYRMING, NAƉRA, NYIÞ und GRAFIR zusammengetan und stehen nun mit Henkersmasken vermummt auf der Bühne. Diese ist außer ein paar Kerzen vollkommen dunkel, als die „Messe“ mit zwei Akkordeons und einer Trompete sehr überraschend eröffnet wird. Die ruhigen Klänge dieser Instrumente schlägt das Publikum sofort in seinen Bann. Nach mehreren Minuten ersetzen die Musiker ihr Handwerkszeug jedoch durch Black-Metal-typische Gitarren und Gesang, wobei die Stücke zwischen Blast-Beats und eher limitierten Midtempo-Parts abwechseln. Spannend wird es dann noch einmal, als dem Publikum ein Kelch mit Rotwein gereicht wird und eine ebenso mit einer Maske vermummte Person ihre Wege mitten durch die Menge sucht. Beschlossen wird die Inszenierung mit Gongschlägen und wiederum der Einsatz der Trompete, so dass der ein oder andere Anwesende sicherlich noch länger darüber nachgrübelt, was er da eigentlich gerade gesehen hat.
Black Metal der eher traditionellen Art bietet dann INQUISITION auf der großen Bühne. Wie immer als Duo aus Schlagzeug und Gitarre im schönsten Corpsepaint unterwegs, werden trotzdem die ganz großen Geschütze aufgefahren und mit Blastbeats und knarzendem Immortal-ähnlichem Gesang alles weggeblasen, was sich in den Weg stellt. Bei „Master of the Cosmological Black Cauldron“ bildet sich erstmals ein amtlicher Circle Pit, dem bis zum Ende des tighten Auftritts noch einige folgen sollten.
Fast Entspannung bietet da der Auftrit des Donnerstag-Headliners von ENSLAVED, die ihre Set mit „Thurisaz Dreaming“ vom letzten Album und „Ruun“ eröffnen. Wie auch auf den letzten Veröffentlichungen nimmt live der Klargesang von Keyboarder Ivar immer mehr Raum ein. Neben weiteren neuen Songs wie „Building with Fire“ greift die Band aber auch ganz tief in die Mottenkiste und spielt „Allfǫðr Oðinn“ von der 1992er Demo. Den Oldschool-Fans gefällt’s!
Folk Metal der moderneren, aber nicht unbedingt besseren, Art gibt es dann zum Abschluss von den Isländern SKALMÖLD. Mit viel Humppa angereichert hat die Band das nun vorwiegend isländische Publikum fest in ihrer Hand. Auch wenn musikalisch nichts auszusetzen ist, fehlt mir bei dieser Band doch das Alleinstellungsmerkmal. Happy-Pagan-Metal-Bands gibt es meines Erachtens eh schon mehr als genug, auch wenn ein Großteil der mit Fan-Shirt geschmückten Anwesenden das anders sieht und viel Spaß hat.
Tag 4
Der Samstag ist der letzte Festivaltag und hat noch einmal einige Highlights zu bieten. ICARUS wirde dem vielleicht noch nicht gerecht, nichtsdestotrotz wird ihr depressiver Hardcore sehr intensiv vorgetragen. Der Sänger schreit und brüllt seinen Schmerz in die Welt hinaus. Da er sich mehrmals mit dem Mikrofon an die dann blutige Stirn schlägt, ist dieser nicht nur metaphorisch zu sehen. Minutenlangen Monologen auf isländisch folgt eine Gesangseinläge mitten im Publikum, bei der er sich auf dem Boden wälzt, während seine Kollegen recht stoisch auf der Bühne verweilen. ICARUS kann man sich gut bei einem Auftritt in einem versifften Kellerloch vorstellen, auf den Brettern der Sporthalle wirken sie allerdings etwas verloren.
SEVERED bieten dann nach bombastischem Intro vom Band, stumpfen, gutturalen Death Metal mit der Kreissäge. Ein guter Zeitpunkt, die Bühne zu wechseln. Auf dieser haben wir DYS gerade verpasst, deren Auftritt großartig gewesen sein soll. Dafür kommen wir in den Genuss von mehrern zwanzigminütigen Auftritten: Den Anfang machen KÆLAN MIKLA, eine mit ihrem Indierock etwas deplatziert wirkende dreiköpfige Frauenband. AMFJ sind dann wieder ein droniges Soundprojekt, das Rückkopplungen bis an die Schmerzgrenze produziert. TÓM spielen sehr monotonen laaangsaaamen Doom, der aber immerhin Songstrukturen erkennen lässt und damit handgezählte 21 Zuschauer unterhält. Zum Abschluss spielt die hochgelobte sehr junge Band BÖRN Rock in schnellerer THE-CURE-Manier, wobei der Gesang allerdings eher amateurhaft bleibt.
Zurück im Hauptvenue werden gerade BRAIN POLICE mächtig abgefeiert. Die Isländer spielen rotzigen Hardrock à la MONSTER MAGNET und machen ordentlich Dampf. Gesteigert wird der Enthusiasmus im Publikum dann durch den Auftritt der norwegischen Kollegen KVELERTAK. Überraschend betritt Sänger Erlend die Bühne diesmal ohne die obligatorische Eule auf dem Kopf. Möglicherweise wurden ihr die strengen isländischen Quarantänevorschriften zum Verhängnis. Trotzdem zündet der unnachahmliche Black’n’Roll sofort und die Band wird nicht nur bei Gassenhauern wie „Bloodtørst“, sondern während des kompletten Sets mit einer durchgehenden Moshpit abgefeiert, die ihren Höhepunkt beim letzten Song „Bruanne Brenn“ erreicht. Am Ende ist nicht nur die Band vollkommen durchgeschwitzt, was aber auch an dem unterdimensionierten Belüftungssystem der Sporthalle liegt, die es nicht einmal schafft den Trockeneisnebel nach draußen zu befördern.
Dies mag auch ein Grund dafür sein, warum BEHEMOTH diesmal nur mit dem kleinen Bühnenset angereist sind und weitgehend auf Feuerspektakel verzichten. Man munkelt, dass extra für diesen Auftritt das Blasphemieverbot in Island noch schnell gekippt wurde, so dass dem Auftritt der Polen nichts mehr im Wege steht. Auch ein kurzer Krankenhausaufenthalt von Sänger Nergal vier Stunden zuvor scheint keine Auswirkungen zu haben. Als dieser unter unheimlichen Drumschlägen mit zwei Fackeln in der Hand die vollkommen dunkle Bühne betritt, ist die gespannte Stimmung im Publikum fast physisch greifbar. Und welcher andere Song als „Blow your Trumpets, Gabriel“ ist da besser geeignet, um dieser Spannung Bahn zu brechen? Während Schlagzeuger Inferno in der Mitte thront hat sich die in schwarze Kutten gekleidete Gitarrenfraktion links und rechts positioniert, um Nergal die Mitte zu überlassen. Und das druckvolle Spiel, das vor allem die neueren BEHEMOTH ausmacht, kommt wie immer voll auf den Punkt! Die Double-Bass-Gewitter von „Ora pro nobis Lucifer”, „As Above so Below“, „Slaves Shall Serve“ und “Christians to the Lions” hauen direkt in die Magengrube. Die zahlreichen Crowdsurfer nehmen diese wohl trotzdem gerne mit, während sie von vorne nach hinten und wieder zurück getragen werden. „Chant for Eschaton 2000“ beendet das reguläre Set, bevor die Band sich minutenlang zu einer Zugabe rufen lässt. In dieser Zeit hätte man ruhig noch einen Song spielen können. Das obligatorische „O Father O Satan O Sun!“ spielt die Band dann schon traditionell in ihren gehörnten Masken, zieht noch einmal alle Register und zeigt, dass sie momentan einfach eine der besten Livebands im extremen Metal ist.
Nun, da das Festival eigentlich beendet, das Bier aber noch nicht leer ist, wundert man sich, dass so viele Isländer noch da sind um die Rausschmeißerband des Abends zu schauen. HAM wird Festlandeuropäern wohl gar nichts sagen, genießen auf der Insel aber Kultstatus. Die Band besteht aus bekannten Komikern und Schauspielern Islands, die unter anderem auch Mitglieder im isländischen Parlament sind, und wird beispielsweise von SÓLSTAFIR als große Vorbilder genannt. Nach mehrjähriger Pause hat die Truppe sich nun wieder zusammengefunden und zelebriert das auf dem EISTNAFLUG-Festival. Musikalisch und vom Auftritt her erinnert das ganze wohl am ehesten an KNORKATOR, auch wenn es nicht ganz so absurd ist. Die Herren tragen etwas aus der Zeit gefallene Bekleidung, die Gitarrenriffs sind eher stumpf und einer der beiden Sänger singt auch gerne mal in recht hohen Stimmlagen, das allerdings gekonnt. Im Laufe des Auftritts beginnt die Musik dann auch richtig Spaß zu machen und man merkt, dass die Band ihr Handwerk versteht. Nichtsdestotrotz scheint der Auftritt auch von seinen zahlreichen, anscheinend witzigen, isländischen Ansagen zu leben, so dass die Halle bis zum Schluss voll gefüllt bleibt.
Es bleibt zu hoffen, dass sich dieses sehr sympathische kleine Festival fest im europäischen Festivalkalender etabliert, auch wenn für die meisten Nicht-Isländer der regelmäßige Besuch einfach zu teuer ist. Wenn man jedoch sowieso vorhat, dieses grandiose Land zu bereisen, dann ist Mitte Juli der perfekte Zeitpunkt, um genau zur Hälfte der Rundreise in den Nordfjorden mit zahlreichen Gleichgesinnten aus der ganzen Welt zu feiern, bevor man sich wieder in die Einsamkeit der Schotterstraßen unter dem Regiment der tödlichsten Tiere Islands, der Schafe, begibt.
Kategorie
Headliner
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Line Up
Kvelertak, Behemoth, Carcass, Enslaved, Rotting Christ, Sólstafir, Inquisition, Icarus, Brain Police, Conan, DYS, Ham, Skálmöld, The Vintage Caravan, Momentum, Vampire, Kontinuum, Lvcifyre,
Misþyrming, Sinmara, Lights On The Highway, Brim, Grísalappalísa, Alchemia, Dimma, Auðn, Severed, Saktmóðigur, LLNN