Wacken ist im Jahr 2017 weit mehr als nur ein Festival, sondern eine ganze Marke. Was gibt es nicht alles, über Kreuzfahrten, Winterfestivals, Skifreizeiten und Biere zu Wacken-sucht-die Nachwuchsband-Wettbewerben. Nichtsdestotrotz bleibt das alljährlich am ersten Augustwochenende stattfindende Open Air im namensgebenden Örtchen (und seinen umliegenden Gemeinden) das Herzstück des ganzen Zirkusses. Und auch wenn man das ganze Brimborium, das mittlerweile einen Großteil des W:O:A ausmacht, bei Seite lässt, bleibt trotzdem noch ein sehr starkes Billing übrig. Sich diesem zu widmen war gar nicht so einfach, da zum Einen die Anzahl der Bühnen und damit die Überschneidungen recht hoch waren, und zum Anderen die selbigen teilweise von 11 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts bespielt wurden. Wenn dann noch der Chefredakteur einen zur ein oder anderen Runde Nageln nötigt, will man ja auch nicht unhöflich sein.
Der Mittwoch als erster Band-Tag war dann auch geprägt von entspanntem Festival-Einläuten im großen Zirkuszelt, in dem sich die WET-Stage und die Headbangers Stage befanden. Wrestling wurde dieses Jahr in ein extra Zelt daneben ausgelagert. FLOTSAM AND JETSAM waren hier der erste große Name, bevor UGLY KID JOE den Soundtrack einer jeden Klassenfahrt der 90er aufboten. Gut, dass die Jungs wieder auf Tour sind und sichtlich Spaß dabei haben, „America’s Least Wanted“ herunterzuspielen. „Cats in the Cradle“ bekommt seinen Slot in der Mitte des Sets und der Abschluss bildet „The Ace of Spades“. Nicht zum letzten mal während dieses Festivals, wie sich später herausstellen sollte. Der Mitgröhlfaktor war immens hoch und es wurde richtig voll und laut im Zelt. „And Iiiiii hate everything about youuuuuuuu…..“. Das stimmte auch bei ANNIHILATOR, die nicht nur mit “Alice in Hell“ die Menge auf ihre Seite zogen, bevor mit BOB GELDOFs BOOMTOWN RATS ein für Wacken eher ungewöhnlicher Name die Bühne betrat. Die wenigsten der Anwesenden wären da wohl jemals auf einem Konzert gelandet, doch war zumindest „I don’t like Mondays“ jedermann ein Begriff. Bei CROWBAR um kurz vor Mitternacht wurde es dann schon merklich leerer im Zelt, da musste wohl noch der ein oder andere Biervorrat vernichtet werden.
Am Donnerstag kam es dann zu ersten Bandkollisionen: IMPERIUM DEKADENZ oder STAUS QUO? BATUSHKA oder ACCEPT? MAYHEM oder VOLBEAT? Der wahre Metaller entschied sich natürlich für den Black Metal im Zelt, nicht ohne vorher darauf zu warten, ob ROSS THE BOSS etwas anderes als MANOWAR-Klassiker spielt (Highlight: Fighting the World), z. B. seine Hymne über den besten Fußballclub der Welt (den 1. FC Kaiserslautern natürlich), und dass EUROPE endlich „The Final Countdown“ spielen. Als STATUS QUO in feinem Zwirn die Bühne betreten, wird es Zeit, wieder ins Zirkuszelt zu verschwinden, vor allem da Auftritte von BATUSHKA auch visuell ein Erlebnis sind und man die Polen in unseren Breitengraden nicht so oft zu sehen bekommt. Schade war, dass viele der orthodoxen Einflüsse, die die Musik der Band ausmachen, vom Band kamen und nur mit Standard-Metal-Besetzung gespielt wurde und dass der Band zum Abschluss am Ende der Spielzeit gnadenlos der Vorhang zugezogen wurde. Auch BRUJERIA setzten mir ihren geheimnisvollen Ski-Masken, die die Identität der Musiker verschleiern soll, auf visuelle Reize. Die gesangliche Darbietung hält sich dabei in Grenzen und besteht hauptsächlich aus abwechselndem Geshoute von Mann und Frau. Während MAYHEM dann den letzten Anwesenden die Trommelfelle zerfetzen, sorgen VOLBEAT auf der Hauptbühne für einen ersten Zuschauerrekord. Während deren Scheiben mit jedem Release immer poppiger und radiotauglicher wurden, legen die Schweden live eine ordentliche Schippe drauf. Dazu bei trug sicherlich auch der Cameo-Auftritt von NAPALM DEATH-Sänger Barney beim Song „Evelyn“, der gerade eben noch die Headbangers-Stage gerockt hat.
Am Freitag muss man sich frühmorgens um 13 Uhr aus dem Schlafsack quälen, um den Auftritt der wiedervereinigten SANCTUARY nicht zu verpassen. So hat die NEVEREMORE-Auflösung auch sein Gutes gehabt, wer hätte sonst gedacht die inoffizielle Vorgängerband noch einmal live zu sehen? Auch wenn Frontmann WARREL DANE nicht mehr die Stimmkapazität seiner Hochzeit erreicht, macht ihn die Leidenschaft und die Emotionen, die er in seinen Gesang legt, unverkennbar. Leider ist der gesamte Auftritt von Regen und Wind gebeutelt, sodass sich viele Zuschauer lieber unter den spärlich vorhandenen Vordächern der Bierstände verkriechen. Bei GRAVE DIGGER kommt dann aber schon wieder die Sonne raus und in einer großen Matschgrube werden die All-Time-Hits der Ruhrpottrocker gefeiert, wie denen der „Heavy Metal Breakdown“ natürlich den Höhepunkt darstellt. Die Stimmung noch einmal eine Stufe höher bringen dann TRIVIUM. Die einmal als illegitime METALLICA-Nachfolger gehandelte Band zieht ein deutlich jüngeres Publikum und es entstehen erste Circlepits. Bei „In Waves“ singt die ganze Menge den Refrain und selbst der mobile Bierverkäufer wird zum Crowdsurfen verdonnert. Etwas ruhiger wird es dann bei APOCALPYTICA, die sich auf ihre alten Werte besinnen und wieder dorthin zurückkehren, was ihnen vor zwanzig Jahren den Durchbruch beschert hat: dem Covern von METALLICA-Songs. Dabei hilft es natürlich auch dem Nicht-Fan der vier Cellisten ungemein, dass die Songs und Melodien bekannt sind, und dass die Band mit einem der größten Hits „Enter Sandman“ in das Set startet ist auch nicht unclever, um das Publikum vom ersten Ton an mitzureißen. Im Anschluss geht es den langen Weg zur Wackinger-Stage wo unverständlicherweise EREB ALTOR zwischen Dudelsackgetröte und Schalmeienklängen auftreten müssen. So tauscht sich das Publikum kurz vor dem Auftritt auch fast komplett aus, bevor die Schweden ihre perfekte Mischung aus DISSECTION und BATHORY unter die anerkennend nickenden Anwesenden bringen. Dann geht es wieder durch den schon berüchtigten Wacken-Matsch zurück zur Hauptbühne, um wenigstens den zweiten Teil des raren Auftritts von EMPEROR noch mitzubekommen. Anlässlich des zwanzigsten Jahrestages der Veröffentlichung ihres genredefinierenden Meisterwerks „Anthems to the Welkin at Dust“ geben sich die Norweger die Ehre, ihre Black Metal Hymnen in die dunkle schleswig-holsteinische Nacht zu keifen. Die Setlist besteht dabei natürlich wenig überraschend aus dem kompletten Album inklusiver aller Zwischensequenzen. SKALMÖLD statt MEGADETH heißt dann die Devise. Die Isländer sorgen wiederum auf der Wackinger-Stage für gute Laune. Auch wenn naturgemäß die wenigsten Anwesenden mitsingen können herrscht ordentlich Stimmung bei der Musik der Party-Wikinger, während Megadave im Hintergrund ertönt. Das kann man vom Auftritt von MARYLIN MANSON im Anschluss nur in Abstrichen behaupten. Sein erster Auftritt in Wacken beginnt mit „The End“ von THE DOORS und vielleicht hätte er dieses Lied vor ein paar Jahren schon wörtlich nehmen sollen. Stimmlich und klanglich geht hier nicht viel. Alle Lieder kommen nur verwaschen vor der Bühne an und selbst bei großen Hits wie „The Beautiful People“ brauch man einige Zeit, um sie eindeutig zur erkennen.
Der Samstag begann dann gleich mit einem weiteren Highlight: SEPULTURA… ääh.. MAX & IGOR CAVALERA spielen gemeinsam das gesamte „Roots“-Album. Und sobald der namensgebende Titeltrack aus den Boxen wummert, geht das Publikum steil. Zwischendurch wird dann auch mal BLACK SABBATH zitiert, und dann ist die Platte auch schon rum. War die wirklich so kurz oder haben die Brüder einfach so schnell gespielt? Weiter geht es dann mit „Beneath the Remains“, und natürlich als Lemmy Hommage, „Ace of Spades“. Da dann immer noch Spielzeit übrig ist und ein Großteil vielleicht noch nicht richtig wach war, wird einfach noch einmal „Rooooots, bloody roooooots….“ zum Besten gegeben. So kann der Tag weitergehen. Aschließend hat die Jugend bei HEAVEN SHALL BURN ihren Spaß („Valhallaaaa..:“). INSOMNIUM kann da auf der Zeltbühne nicht mithalten und der melodiöse Death Metal mit zuviel Keyboard will nicht richtig zünden. ALICE COOPEr macht es dann besser und zeigt Mr. MANSON mal, wie Shock Rock richtig geht. Der alte Sack fährt die ganz großen Geschütze auf, spielt alle Hits, lässt sich köpfen und fesseln und hüpft über die Bühne wie ein junger Gott. Nita Strauss‘ Gitarrensolo geht dann fließend in „Poison“ über, nach „School’s Out“ kommt „Another Brick in the Wall“ und – Surprise, Surprise - eine weitere Interpretation von „Ace of Spades“, diesmal gesungen von Alice’s Bassisten. Geile Show, geile Party! Während im Anschluss die Vorzeige-Wikinger AMON AMARTH jeden, der noch ein Methorn halten kann, vor die Hauptbühne ziehen, geben nebenan auf der Louder-Stage vor deutlich weniger, dafür umso erlesenerem, Publikum ein paar andere Schweden unglaublicher Weise ihr Wacken-Debüt: KATATONIA zelebrieren ihren Gothic Doom und Sänger Jonas Renske hat einen guten Tag erwischt, um auch die zerbrechlichen Melodien angemessen rüberzubringen. Da man, um KREATOR zu sehen, erst noch mindestens zwei Stunden lang Tobias Sammet’s AVANTASIA-Gelaber ertragen muss, gewinnt die zweite Alternative, und es geht zurück zum Zeltplatz und Bier. Are you ready toooo griillllll?