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Dirkschneider, Raven – Capitol Hannover, 06.12.2017
| Thorsten Zwingelberg | Konzerte
„Hamburg! Ihr wart genial! Hannover! Zeigt uns heute Abend, was ihr drauf habt!“ So las es sich am Nikolaustag auf der Facebook-Seite von DIRKSCHNEIDER. Eine Auflösung gab es nicht. Soll man daraus schließen, dass Hamburg mehr drauf hatte als Hannover? Möglich. Eins steht jedoch fest: Die 'Back To The Roots Part II' Tour entwickelte sich im Capitol zu einer Show für alle Sinne.
Der ehemalige ACCEPT Frontmann UDO DIRKSCHNEIDER beglückt die Fans nun seit einigen Jahren mit reinen ACCEPT Gedenkshows unter dem DIRKSCHNEIDER Banner. Nach zwei Livemittschnitten und einer sehr unterhaltsamen Show beim 2017er ROCKHARZ wurde die Setlist nun etwas umgestellt. So haben es nun die Songs des „Objection Overruled“ Albums und sogar des ungeliebten „Predator“ Albums ins Programm geschafft. Doch der Reihe nach.
Woran kann man schon vor Beginn der Show erkennen, dass es sich nicht um irgendeinen Hinz und Kunz handelt, sondern um verdiente Superstars der Szene? Richtig: Wenn sich auch 30 Minuten nach dem eigentlichen Einlass noch lange Schlangen vor dem Venue bilden. Schade, dass ich meine Jacke im Auto gelassen hatte. Im T-Shirt ist es im Dezember dann doch irgendwann kalt. Als wir dann irgendwann in den heiligen Hallen waren, war es dann doch erstaunlich übersichtlich gefüllt. Die lange Wartezeit hatte auf mehr Gedränge schließen lassen. Doch eins wurde auf den ersten Blick klar: Wer hier unter 40 Jahre alt war, durfte sich jung und besonders fühlen. Ähnliches galt für das Tragen von vollem Haupthaar – von langen Haaren ganz zu schweigen. Und doch zeigte sich hier, dass ACCEPT und U.D.O. zu den Arbeitstieren der Szene gehörten, denn – anders als bei den SCORPIONS - machten die Anwälte und Werbefutzis in überteuerten Wellensteyn-Jacken höchstens ein Drittel der Gäste aus, der Rest setzte sich aus ehrlichen Schaffern jeglicher Couleur zusammen.
Trotz des verspäteten Einlasses begann die Show pünktlich um 20 Uhr mit der NWoBHM Legende RAVEN. Die Brüder Gallagher mussten auch am heutigen Abend ohne Drummer Joe Hasselvander auskommen, der bereits das ganze Jahr aus gesundheitlichen Gründen ausgefallen ist. Wer der junge Mann hinter den Kesseln war, weiß ich nicht – KILL RITUAL Trommler Dave Chedrick, der zuvor ausgeholfen hatte, war es jedenfalls nicht. Wie auch immer, optisch hätte vielleicht am besten der gute Gunter Gabriel in die Band gepasst, aber man sollte sich vom stolzen Alter der Herren nicht täuschen lassen, denn John (Bass, Gesang) und Mark (Gitarre) legten vom ersten Ton an richtig los. Vor allem Mark tobte über die Bühne wie ein Duracell-Hase an der Starkstromleitung. Und John war stimmlich erstaunlich gut erhalten und stieß während der Show den ein oder anderen spitzen Schrei aus, der einen Rob Halford in Verlegenheit gebracht hätte. Los ging es mit „Destroy all Monsters“ vom aktuellen „Extermination“ Album. Das 2015er Albumwurde zudem noch mit „Faster than the Speed of Light“, „Battle March Tank Treads“ und „Hard Ride“ gewürdigt. Ansonsten gab es einen wilden Ritt durch die Bandgeschichte und die anwesenden Fans bangten u.a. zu „All for One“, „Rock until you drop“ oder „Hung, Drawn & Quartered“, welches erstmals auf der Playlist stand. Neben dem obligatorischen Gitarrensolo gab es noch ein unfreiwilliges Basssolo, da Marks Gitarrentechnik nicht immer so wollte wie er. Gegen Ende der Show schob der Dreier noch eine Hommage an den jüngst verstorbenen Malcom Young (AC/DC) ein und zockte ein paar Takte von „It’s a long way to the top“. Dass der Song wahr ist, haben die Wahl-Amis von RAVEN am eigenen Leib erfahren. Vielen der Altrocker auf dem Balkon des Capitol schienen RAVEN überhaupt gar nicht bekannt zu sein, sie ließen sich aber dennoch zu wohlwollendem Kopfnicken hinreißen. Für mich zeigte sich live, was auch für die Alben der Band gilt: Neben einigen richtig guten Songs gibt es auch viel Füllmaterial. Trotzdem war ich positiv angetan vom Auftritt des Trios aus Newcastle.
Nachdem die Bühne von der RAVEN Technik befreit worden war, hieß es zunächst einmal warten. Um 21.30 Uhr kündigte das Intro dann den bevorstehenden Auftritt von DIRKSCHNEIDER an. Warum man heutzutage immer komplette Songs über mehrere Minuten als Intro verwendet bleibt mir jedoch ein Rätsel. In grünes Licht gehüllt und mit mehr Nebeleinsatz als zu Beginn des Unternehmen Barbarossa enterten dann die Musiker die Bühne und eröffneten den ACCEPT-Gedächtnisabend mit „The Beast Inside“. Wie ein tropfender Wasserhahn animierte der stampfende Rhythmus des Songs zum mitschunkeln. Das Gitarrenduo Andrey Smirnov und Bill Hudson zeigte sich mal wieder perfekt aufeinander eingestimmt, während Basser Fitty zusammen mit Dirkschneider Sohn Sven für den richtigen Antrieb in der Rhythmus-Sektion sorgte. Altmeister UDO prustete und stampfte wie ein altes Dampfross auf dem Weg von Santa Clara nach Santa Fe auf der Bühne hin und her und quakte seine Lyrics in bekannter Manier in die Flüstertüte. Die ersten Highlights kamen für mich mit „Bullet Proof“ und „Midnight Mover“, welches es aus der alten Playlist ins neue Programm geschafft hatte. Wer entschieden hat, dass statt „I don’t wanna be like you“ lieber „Protectors of Terror“ ins Programm genommen werden sollte, weiß ich nicht, es war aber die falsche Entscheidung. Immerhin überzeugte die „Objection Overruled“ Ballade „Amamos La Vida“ deutlich mehr als ich anfangs befürchtet hatte. Immerhin, die ersten elf Songs schafften DIRKSCHNEIDER in guten 45 Minuten. Na ja, UDO war ja nie ein Fan der vielen Worte und so hielt er sich auch am heutigen Abend nicht mit großen Reden auf und beschränkte sich im Wesentlichen darauf zu sagen, dass er auch nicht wisse, was er sagen soll. Ja, dann sagt man eben am besten nichts und spielt lieber noch ein paar Songs. Mit „Stone Evil“ und „Breaker“ ging es in die zweite Runde des Abends, die durch ein wenig Solorei der Saitenhexer in die Länge gezogen wurde. Erstaunlich war dann, dass mit „Hard Attack“ ein Song des letzten ACCEPT Albums mit Dirkschneiderischer Beteiligung auf der Playlist stand. Ich hätte ja gern noch „Crossroads“ gehört, aber dass Peter Baltes für das Gesangsduett gewonnen werden könnte, wäre wohl doch etwas zu viel verlangt gewesen. Andererseits hat die Band mit „X-T-C“ ja auch einen Song vom „Eat The Heat“ Album gespielt, auf dem DIRKSCHNEIDER gar nicht mitgemacht hatte.
Der Zugabenteil bescherte dem Publikum dann eine Handvoll Klassiker, ohne die eine ACCEPT Show wohl nicht vollkommen wäre. In Zukunft muss das U.D.O. Publikum jedoch ohne diese Songs auskommen.
Als Hommage an die 80er und 90er zogen die Musiker alle Register und präsentierten jede Menge einstudierter Posen, wie man sie aus den goldenen Tagen des Heavy Metal kannte. Leider wirkten die meisten Aktionen aber tatsächlich auch einstudiert und zwischenzeitlich konnte man sich fast fragen, ob man es nicht doch mit der Roboterband COMPRESSORHEAD zu tun hatte. DIRKSCHNEIDER präsentierten sich als perfekt eingespielte, hochprofessionelle Band, konnten mich in Sachen Spielfreude aber nicht überzeugen. Hätte ich in einem Ohrensessel bei den Blind Auditions bei The Voice gesessen, hätte ich nicht gebuzzert, da mich die Band an diesem Abend nicht getoucht hat. Die Größe der Band und ihres musikalischen Erbes kommt wohl doch auf einer großen Festivalbühne mehr zum Tragen.
Den Fans um uns herum schien es trotzdem zu gefallen: Der eine schaute sich die Band zur Sicherheit lieber gleich durch eine Spacesonnenbrille an, die mir bisher nur von „Amboß“ aus „Otto – der neue Film“ bekannt war. Andere schüttelten und malträtierten den Nacken und Rücken ihres Begleiters dermaßen, dass ich vorsorglich schon mal die Halskrause rausholen wollte und mich sorgte, ob die Dame wohl versehentlich auf einer ungesicherten Stromleitung Platz genommen hatte. Zwischendurch wurde man um Leergut angeschnorrt, dessen Erlös dann in ein Tourshirt investiert werden sollte. Das ist mir, wenn ich mich nicht irre, zuletzt im Frühjahr 2000 im Göttinger JUZ beim LEATHERFACE Konzert passiert. Damals drängte sich ein ranziger Punk mit aufgeschnittener Cola-Dose durch die Reihen und versuchte, sich die Eintrittskarte zu refinanzieren. Eigentlich fehlte heute nur, dass der bekennende ACCEPT Jünger J.K. aus S. vom Balkon des Capitols in die Menge strullte. Aber wenigstens hatte es beim Kollegen neben uns mittags in der Kantine wohl Texanischen Bohneneintopf gegeben, so dass er jeden Song des Abends freudig auf der Analtrompete mitspielte. Genießen mit allen Sinnen eben.
Ort
Kategorie
Setlist
The Beast Inside (Death Row Album)
Aiming High (Russian Roulette Album)
Bulletproof (Objection Overruled Album)
Midnight Mover (Metal Heart Album)
Slaves To Metal (Objection Overruled Album)
Another Second To Be (Russian Roulette Album)
Protectors Of Terror (Objection Overruled Album)
London Leatherboys (Balls To The Wall Album)
Fight It Back (Balls To The Wall Album)
Can't Stand The Night (Breaker Album)
Amamos La Vida (Objection Overruled Album)
Stone Evil (Death Row Album)
Breaker (Breaker Album)
Hard Attack (Predator Album)
Love Child (Balls To The Wall Album)
Objection Overruled (Objection Overruled Album)
X-T-C (Eat The Heat Album)
Russian Roulette 'War Games' (Russian Roulette Album)
Encores:
Princess Of The Dawn (Restless & Wild Album)
Metal Heart (Metal Heart Album)
Fast As A Shark (Restless & Wild Album)
Balls To The Wall (Balls To The Wall Album)