Der 6.10.1994 markierte den ersten Besuch der Rostocker Punkrocker DRITTE WAHL im Bremer Schlachthof. Auf den Tag vier Jahre zuvor erlebte ich an derselben Stelle meine Thrash Metal Feuertaufe mit TANKARD und RUMBLE MILITIA. 24 Jahre und ein paar Tage später laden DRITTE WAHL nun zum Kurzurlaub in der Bredouille nach Bremen ein.

Nicht nur der Schlachthof war knacke voll, sondern das gesamte Viertel, denn direkt vor dem Venue findet momentan der Bremer Freimarkt statt. Schön, aber bei der Suche nach einem Parkplatz nicht gerade förderlich. Doch zum überpünktlichen Start waren wir trotzdem rechtzeitig in der Halle.
MASSENDEFEKT aus der Düsseldorfer Gegend fungierten heute als Anheizer und hatten ihr neues Album („Buuuuuuuuuu“) „Lass die Hunde warten“ im Gepäck. Die Truppe rockt sich mittlerweile auch fast 24 Jahre durch die Hallen der Republik und konnte das Publikum an diesem Abend schnell mit ihrem leicht verdaulichen Punk Rock begeistern. Während Mitsingspielchen wie bei der aktuellen Single „Disco“ vom neuen Album („Buuuuuuuuuu“) gut funktionierten, hatte man bei der Aufforderung den Nebenmann oder die Nebenfrau auf die Schultern zu nehmen wohl übersehen, dass der Altersdurchschnitt bei 50+ lag. Da geht man ein solches Risiko nicht mehr leichtfertig ein. Trotzdem machten sich beim Rausschmeißer „Wellenreiter“ erste Crowdsurfer auf den Weg. MASSENDEFEKT sind sicherlich weit weniger kultig als SCHNAPS, die als Opener bei meiner letzten DRITTE WAHL Show in Göttingen fungierten, dafür aber eingängig und unterhaltsam. Ich bin mir sicher, dass die Anheizer vom Headliner ein gutes Zeugnis ausgestellt bekommen, denn sie haben ihre Aufgabe mit Bravour erledigt.

Kurz nach 21 Uhr ratterten dann unendliche Zahlenreihen über die LED-Wände und DRITTE WAHL fanden mit dem geilen „Wir schießen die Milliadäre ins All“ einen bombastischen Einstand in das zweistündige Set. Die Songauswahl ist ja bei jeder Liveshow ein heikles Thema, doch man muss den Rostockern zugutehalten, dass sie nicht einfach nur die Setlist der letzten Tour durch einige neue Songs („Buuuuuuuuuu“) abgeändert haben. Während einige Klassiker wie „Störung“, welches bereits an dritter Stelle der Setlist abgefeuert wurde, „Zeit bleib stehen“ oder „Greif ein“ ihren Platz in der Startaufstellung verteidigen konnten, mussten Hits wie „Keine Angst“, „Resolution der Kommunarden“ (von einem kleinen instrumentalen Ausflug abgesehen) oder „Sklave“ auf die Auswechselbank. Stattdessen rückten neue Songs („Buuuuuuuuuu“) wie „Panama“, „Urlaub in der Bredouille“, „Keine Zeit für Weiße Fahnen“, „Steine im Weg“ und „Edwin Aldrin“ in die Setlist. „Das regelt der Markt“ wurde ja bereits auf der 3d-Tour dargeboten. Aber natürlich gab es auch jede Menge alte („Yeeeaaaaahhhhh“) und halbalte („Yeeeaaaaahhhhh“) Songs auf die Ohren: „Zu wahr um schön zusein“ (mit weiblicher Unterstützung am Mikro), „So wie ihr seid“, oder „Auge um Auge“. Romantisch wurde es mit „Alles nur Chemie“, welches es neben „Zusammen“ aus der Setlist der 3D-Tour ins Jahr 2024 hinübergeschafft hatte. Das wunderbare „Runde um Runde“ durfte natürlich nicht fehlen und hat für mich angesichts der Wirtschaftsnachrichten um den VW-Konzern irgendwie wieder an Aktualität gewonnen, auch wenn die VW-Mitarbeitenden vielleicht nicht in der Hafenkneipe sitzen.

„Zeit bleib stehen“ beendete traditionell den Hauptteil des Sets, bevor DRITTE WAHL mit „Greif ein“ in den Zugabenteil starteten. „Tobias“ und „Fliegen“ folgten, bevor die Band abermals von der Bühne ging und mit dem nicht endenden Chor „Aber ich möchte fliegen, ganz weit oben über'm Meer, und dann seh ich all die Scheisse, all die Scheisse hier unten gar nicht mehr!“ schließlich zum zweiten Zugabenteil zurückgeholt wurden. Der Ballermann-Punkrocker „Der Himmel über uns“ war genau der richtige Song zur richtigen Zeit, um das feierfreudige Bremer Publikum weiter auf Trapp zu halten. Nachdem noch „Wo ist mein Preis?“ zum Besten gegeben wurde, verabschiedeten sich DRITTE WAHL mit einer Coverversion des Bugs Bunny Schlussvers „Das Publikum war heute wieder wundervoll“. Da wurde mein jahrelanges Kritteln nun also doch erhört und DRITTE WAHL haben sich nicht mit einem melancholischen Song vom Publikum verabschiedet. Stetes Wiederholen führt also doch irgendwann zum Ziel. Aber das weiß Frontmann Gunnar, der aus einem Lehrerhaushalt stammt, ja selber und hat dieses Wissen gleich angewandt, um das Publikum dazu zu bringen, jeden neuen Song mit einem ausgedehnten „Buuuuuuuuu“ zu quittieren, während alte Stücke naturgemäß mit frenetischem Jubel begrüßt werden mussten. Am Ende dieses Abends darf man ohne Übertreibung feststellen: Lernziel erreicht! Aber Frontmann Gunnar war am heutigen Abend ohnehin in Höchstform und hat mit seinen gleichsam unterhaltsamen wie ausschweifenden Ansagen beim Publikum für so manchen Lacher gesorgt, während seine drei Mitstreiter zunehmend verzweifelt auf die Uhr zeigten. Aber DRITTE WAHL bleiben sich eben auch anno 2024 treu und liefern eine perfekte Mischung aus klarer politischer Kante (die man nicht nur anhand der unmissverständlichen LED-Projektionen erkennen konnte), erstklassiger musikalischer Unterhaltung und bestem Entertainment. Und dieses Paket gibt es nach wie vor zu echten fairen Preisen – dies gilt übrigens auch für die Getränkepreise des Clubs, denn knappe 5€ reichen in der Bremer Innenstadt gerade einmal für eine Stunde im Parkhaus. Aber ohne Getränk!

Gegen 23 Uhr war der „Urlaub in der Bredouille“ mal wieder viel zu schnell vorbei und es heißt zurück zum Alltag! Doch zum Glück geht die Tour noch weiter und vielleicht schreibt ihr uns ja mal ne Karte, wie es euch in eurem DRITTE WAHL Urlaub in der Bredouille gefallen hat…

Hier gibt es die Band noch zu sehen:

02.11.24 / MÜNSTER / Skaters Palace
08.11.24 / MÜNCHEN / Bachstage Werk
09.11.24 / ERFURT / Central Club
15.11.24 / KÖLN / Carlswerk
16.11.24 / WIESBADEN / Schlachthof
22.11.24 / MAGDEBURG / Factory
23.11.24 / DRESDEN / Schlachthof
29.11.24 / SAARBRÜCKEN / Garage
30.11.24 / STUTTGART / Im Wizemann
06.12.24 / NÜRNBERG / Löwensaal
07.12.24 / BERLIN / Columbiahalle
17.01.25 / HANNOVER / Capitol
18.01.25 / HAMBURG / Große Freiheit
24.01.25 / LINGEN / Alter Schlachthof
25.01.25 / LEIPZIG / Haus Auensee