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  • Mayhem - Live in Leipzig 2022 - Ritual Show

    | Jens Dunemann | Konzerte

PC181495Die Show am heutigen Abend wird eingeleitet durch die Begrüßung von einem gewissen Abo Alsleben, der sich "schuldig" bekennt, dafür verantwortlich zu sein, dass sich eine illustre und sehr heterogene "Gemeinde" von Menschen mit der Vorliebe für metallische Musik in Leipzig versammelt hat.

Es handelt sich um jenen Menschen, der 1990 als fanatischer Metalhead in seiner Sturm- und Drangphase in einer von dramatischen politischen wie gesellschaftlichen Umbrüchen geprägten Zeit zunächst in Kontakt mit der Musik von MAYHEM kam, über die sich wiederum ein reger Austausch mit Bandkopf Euronymous entwickelte, welcher schließlich dazu führte, dass Alsleben die aufstrebenden Norweger nach (Ost-)Deutschland holte und für diese drei Konzerte als Auftakt für deren Europatour in Zeitz, Annaberg-Buchholz und Leipzig organisierte.

Die Tour sollte außerhalb von Deutschland zum Desaster für die Band werden. Was blieb, war ein Mitschnitt aus dem Leipziger Eiskeller vom 26.11.1990, von dem zum damaligen Zeitpunkt niemand ahnen konnte, dass das damalige, eigentlich unbedeutende Konzert einer vergleichsweise unbekannten Szene-Band, historisch sein sollte. Der Rest ist Geschichte: Sänger Dead nahm sich am 08.04.1991 das Leben, die ideologische Rebellion aufbegehrenden Black Metal – Szene eskalierte, Euronymous wurde von Varg Vikernes am 10.08.1993 erstochen. Der Mitschnitt aus Leipzig, einst als Vermächtnis von Dead, dem ehemaligen Sänger gewidmet, wurde somit zum Abgesang für beide und zum vielfach aufgelegten Klassiker.

In der Zwischenzeit ist der Black Metal explodiert, implodiert und wiederauferstanden. Und mit ihm: MAYHEM!

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Als die 30-Jahre-"Live in Leipzig" - Ritual Show 2020 angekündigt wurde, war ich zugegebenermaßen skeptisch. Zwar war mir die Bedeutung der Leipziger Show und ihrer Konservierung immer bewusst, dennoch habe ich MAYHEM viele Jahre immer wieder als eine Band erlebt, die mehr von ihrem Ruf, als von der eigentlichen Musik lebt. Was nicht zuletzt vom Reunion-Konzert 1998 in Bischofswerda herrührte, bei dem mich die Norweger genauso wie Marduk schwer enttäuschten und ausgerechnet die Opener Eminenz einen aus meiner Sicht denkwürdigen Gig von bleibendem Eindruck spielten. Selbst die Rückkehr von Attila Csihar 2004, der auf dem Bandklassiker "De Mysteries Dom Sathanas" Maßstäbe setzte, konnte daran zunächst nichts ändern. Im Gegenteil: Den Party.San-Gig 2015 hatte ich seinerzeit als absolut "drüber" und überambitioniert empfunden. Erst mit der aktuellen EP "Atavistic Black Disorder / Kommando", über die ich den Bezug zum großartigen letzten Album "Daemon" (2019) herstellen konnte, habe ich mich mit MAYHEM versöhnen können und nach und nach Zugang zu den Werken von "Chimera" (2004) bis "Esoteric Warfare" (2014) gewinnen können. Spätestens jedoch, nach dem Abriss auf dem diesjährigen Party.San Metal Open Air, der eigentlich auch "drüber" (aber weniger aufgrund von aufgeblasenem Pathos, sondern wegen der puristischen, greifbaren Anti-Haltung und dem perfekt inszeniertem Chaos – Anm. d. Verf.) war klar, dass ich mir diesen Gig in Leipzig nicht entgehen lassen wollte.

 
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Wobei natürlich auch darüber hinaus eine gewisse Skepsis da war, schließlich darf sich durchaus die Frage stellen, inwieweit eine Jubileums-Show dieser Art, die zwischenzeitlich durch die Pandemie zweimal verschoben werden musste, vielleicht doch mehr Marketing-Gag, als würdiges Erinnern ist. Ich war auf jeden Fall im Vorfeld gespannt, wie MAYHEM 2022 sich ihrem historischen Erbe von 1990 stellen würden...
Los geht es also kurz nach 19:00 Uhr im zunächst noch mäßig gefüllten Haus Leipzig, das so gar nicht in den Kontext der ursprünglichen Location bzw. dem Eiskeller im linksalternativ geprägten Stadtteil Connewitz passen will. Gentrifizierung im (Black) Metal? Könnte man meinen, sieht der Laden doch eher nach Sekt, Häppchen und gediegenen Veranstaltungen des Establishments aus, statt nach Extrem-Metallern, Punks und Anarchisten, Bierdunst und kaltem Rauch.

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Abo kündigt seine Freunde von NARGATE an, die einst in Syrien gegründet wurden und die es mittlerweile nach Leipzig verschlagen hat. Die Band nimmt das Geschenk und die Herausforderung dankbar an, sich in diesem Rahmen präsentieren zu dürfen. Die Mischung aus Black Metal und Death Metal – Riffing, die mal melodiös, mal disharmonisch daher kommt und vom massiven, abwechslungsreichen Riffing lebt, mal groovend, mal treibend und mal rasend, wobei auch progressive Ansätze und orientalische Einflüsse herauszuhören sind. Noch ist das zwar alles nicht ausgereift, die Spielfreude und der Enthusiasmus des Quartetts werden mit zunehmender Spieldauer allerdings trotzdem vom Publikum honoriert. Für alle Beteiligten ein Einstieg nach Maß.

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Die Urgesteine von MANOS waren schon am 26.11.1990 Vorband im Eiskeller. Damals normal, würde heute wohl kaum ein Veranstalter auf die Idee kommen, MAYHEM mit MANOS auf einen Einzelgig zu buchen. Allerdings verbindet MANOS mit den Schwarzmetallern MAYHEM ungeachtet vom kommerziellen Erfolg heute nach wie vor Die Anti-Haltung. Während sich diese bei MAYHEM in Form einer musikalischen Breitwand-Inszenierung zeigt, stehen MANOS für eine metallische Grind- und Hardcore-Persiflage, die Klischees einer testosterondominierten Szene ad absurdum führt. Das Ritual von Basser Eule, Gitarrist/Sänger Andrew und Drummer Ratze ist bunt, farbenfroh und lebensbejahend. Konzerte von MANOS dürfen und sollen Freude machen. Das Trio aus Querfurt in Sachsen-Anhalt ist nicht nur, vor allem aber im Osten Deutschlands absoluter Kult, weil sie es schaffen, brutalen Death Metal mit Hardcore, Punk und Grindcore über ihren ureigenen Humor zu verbinden, der trotz des subtilen Slapstiks authentisch, weder gekünstelt, noch albern wirkt. Und MANOS haben es bei ihrem Heimspiel daher auch nicht nötig, sich im historischen Schatten der Norweger zu verbiegen, sondern ziehen ihren Stiefel einfach durch. Einzig auf einen weihnachtlichen Tannenbaum am Bass verzichtet Eule am heutigen Abend. Ansonsten gibt´s das volle Programm inkl. "Ulehule", der Querfurter Bockwurst, "Komm in den Garten", "Biene Maja" oder "Teacher´s Pants" etc. pp. Gerutscht werden darf natürlich auch, denn das Publikum ist ein integraler Bestandteil einer jeden MANOS-Show. Nach rund einer Stunde ist der seriöse Teil des Abends dann auch vorbei. "Wer hat an der Uhr gedreht?", die Querfurter müssen sogar nachsitzen, da sie noch für eine Spontanzugabe auf die Bühne zurückgebrüllt werden.

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 Danach ist Schluss mut lustig und es wird dunkel. Umbau und auch Soundcheck verlaufen zügiger als erwartet. Doch anschließend heißt es für alle in der mittlerweile gut gefüllten Location warten. Die Spannung steigt bei fahlem, düsteren Licht, das die Konterfeis der Protagonisten von 1990 - Dead, Hellhammer, Necrobutcher und Euronymus - in Szene setzt. Die vier übergroßen Banner hängen mit eben jenen schemenhaften Portraits, die einst das Originalplakat zierten, von der Decke und flankieren die Bühne auf beiden Seiten. Eine ganz eigene Geschichte könnte man über den Schweinekopf erzählen, der 1990 als Bühnendeko und Requisit zum Einsatz kam und sozusagen mit einem zweiten Leben beschenkt wurde. 2022 sind es vier Köpfe, aufgespießt auf Birkenholzpfähle, die am Bühnenrand präsentiert werden und das Schlagzeugpodest einrahmen.


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Die einstimmenden Klangkollagen gipfeln schließlich im Percussion-Intro "Silvester Anfang", welches nicht nur die "Deathcrush"-EP von 1987, sondern auch den Beginn des Konzertes einleitet. Endlich betreten Hellhammer, Necrobutcher, die beiden Gitarristen Teloch und Ghul sowie schließlich Sänger Attila Csihar die Bühne. Die Frage nach der Setlist stellt sich zunächst nicht. "Deathcrush", "Necrolust", "Funeral Fog", "Freezing Moon", bei dem die ursprüngliche "When it´s cold, when it´s dark..."-Ansage von Dead eingespielt wird, "Carnage", "Buried By Time And Dust", "Pagan Fears", "Chainsaw Gutsfuck" und schließlich das finale "Pure Fucking Armageddon" entsprechen den Songs, die MAYHEM im November 1990 mit Øystein Aarseth und Per Yngwe Ohlin alias Euronymous und Dead im Eiskeller zu Leipzig spielten. Bassist Necrobutcher lässt es sich nicht nehmen, seine ebenfalls auf dem Live-Album konservierte und seinerzeit der Irritation über die verhaltenen Publikums-Reaktionen geschuldete "Are you dead?"-Ansage noch einmal zu zelebrieren, um danach "Carnage" anzukündigen. Darüber hinaus verzichten MAYHEM glücklicherweise auf überflüssigen Firlefanz, sondern lassen die Musik sprechen. Und so zeichnen sie ein historisches Konzert und den Weg einer Band nach, die in den späten Achtzigern aus dem Death Metal - Underground kam und in der Entwicklung der Protagonisten und Musik schließlich im Black Metal Maßstäbe setzte. "Live in Leipzig" ist aus meiner Sicht auch gerade deshalb so bedeutend, weil es MAYHEM ungefiltert an der Schwelle zwischen den noch deutlich vom extremen Metal der Achtziger geprägten Frühphase in der Entwicklung zu dem Ausdruck zeigt, der schließlich mit dem 1994 veröffentlichten Meilenstein "De Mysteriis Dom Sathanas" nach dem Tod von Euronymous 1993 gipfelte und eine Ära der Band beendete. Natürlich ist das Format 2022 ein anderes und die Band um die verbliebene Rythmus-Sektion Hellhammber/Necrobutcher gewisserweise eine andere. Doch MAYHEM zelebrieren ihr Erbe tatsächlich würdevoll. Die Show ist nicht so chaotisch und abgefuckt, wie auf dem Party.San, was jedoch einer Doku zum Gig geschuldet sein könnte, die zum Revival parallel gedreht wird, und ich würde auch nicht ausschließen wollen dass auch dieser Abend in Leipzig seinen Weg auf einen Tonträger finden wird. Hellhammer ist wie meistens in der Dunkelheit bzw. im dezenten Licht hinter seinem Schlagzeug kaum zu sehen, dafür ist seine Präsenz in beeindruckender Weise zu hören. Attila, seit "De Mysteriis Dom Sathanas" über "Ordo ad Chao" (2007) bis heute wie sein Vorgänger Dead und Nachfolger Maniac untrennbar mit MAYHEM verbunden, beschränkt sich auf sein Organ und seine Fähigkeiten als Hohepriester blasphemischer Gesten und Symbolik. Die beiden Gitarristen Teloch und Ghul sind mittlerweile schon rund zehn Jahre dabei und verkörpern die Fähigkeit der Band, sich immer wieder neu zu erfinden. Sie sorgen für einen dichten Gitarrenteppich. Dabei treten sie nach außen ziemlich gegensätzlich in Erscheinung, der Norweger Teloch mit Corpsepaint wirkt extrem grimmig, die Les Paul-Adaption lässig tief hängend, der Brite Ghul ungeschminkt, durchtrainiert, die Gitarre dabei unter der Brust. Posieren können sie jedoch beide. Und Necrobutcher ist Necrobutcher, zuständig für Bass, Wein und "Kommunikation" mit dem Publikum.

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 Nach dem regulären 1990er-Set verlassen MAYHEM kurz die Bühne, um schon nach kurzer Zeit unter frenetischem Jubel zurück zu kehren. "Life Eternal" von "De Mysteriis Dom Sathanas" bildet den Wiedereinstieg und öffnet die Klammer für den zweiten Akt. Es folgen "My Death" von "Chimera" (2004), "Symbols Of Bloodswords" von der "Wolf´s Lair Abyss"-EP (1997), "Voces ab Alta" von der aktuellen "Atavistic Black Disorder / Kommando"-EP und schließlich das finale, unfassbar intensive "De Mysteriis Dom Sathanas", mit dem die Klammer geschlossen wird. Gerade im zweiten Teil des Gigs wird die musikalische Entwicklung, die MAYHEM seit jenen Tagen im November 1990 genomen haben, deutlich. So zeigt sich die musikalische Brillianz der Musiker noch einmal. Insbesondere Attila kann zeigen, dass er nicht nur ein Performer mit einer unglaublichen Präsenz ist, sondern auch ein begnadeter Sänger.

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Danach nach dem Titelstück des 94er-Werkes ist Schluss. Jeder der Musiker verabschiedet sich auf seine Weise, wobei MAYHEM, wenn auch nur von der Bühne aus, den direkten Kontakt zu den Fans suchen. Zu den begehrtesten Devotionalien dürften die Drumsticks von Hellhammer gehören, allerdings stehen auch Plektren oder aber eine Setlist mit Schweiß und Schminke von Attila als Reliquie hoch im Kurs. Sichtlich ergriffen zeigt sich jedoch besonders Necrobutcher bei seiner Verabschiedung vom Publikum.
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Was für ein Abend. Selbst wenn das zweimal verschobene Konzert die historische Dimension des anlassgebenden 30-jährigen Jubileums des Leipzig-Konzertes vom 26.11.1990 wohl kaum erreichen wird: MAYHEM haben in beeindruckender Weise geliefert, ohne dabei das Erbe von Dead und Euronymous zu fleddern. Sellout gab es trotzdem. Allerdings im positiven Sinn. Denn noch bevor die Norweger überhaupt angefangen hatten zu spielen, war das Merchandise, das anlässlich des Abends mit speziellen Designs hergestellt wurde, nahezu vollständig ausverkauft. Und auch die stolzen Bierpreise von fünf Euro für einen Nullvierer-Plastebecher haben Gerstensaftkonsum nur bedingt gehemmt.
Ausverkauft war der Abend mitnichen, obwohl es gerade bei MAYHEM schon sehr kuschelig vor der Bühne zuging. Denn es gab auch eine Vielzahl an Leuten, die Karten hatten und wiederum krankheitsbedingt oder aus anderen Gründen nicht kamen. Jedenfalls konnte man vor dem Einlass reihenweise Metalheads beobachten, die versuchten, in der eisigen Kälte Leipzigs, ihre Karte an den Mann oder die Frau zu bringen.
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Noch eine Randnotiz zum Schluss: Selten habe ich so ein heterogenes Publikum gesehen, das vom Punk über Autonome und Anarchisten, klassische Metalheads bis zum Grauzonen-Black Metaller reichte, was ich als verstörend und beeindruckend zugleich wahrgenommen habe. Die Welt ist voller Widersprüche, weder schwarz noch weiß und diese Widersprüche spiegeln sich gleichsam in der Entwicklung und Karriere von MAYHEM.
Mein Dank richtet sich an Abo Alsleben, dafür, dass er seinen Teil zur Historie beigetragen hat, an MAYHEM für ein Album, welches für mich mit zwei weiteren Veröffentlichungen die Essenz des skandinavischen Black Metals ausmacht, Carsten für Fahrt und Fotos sowie Sabine für die Möglichkeit, berichten zu dürfen!

 Rohes Fest!!!
 

Hintergründe:

 MAYHEM LIVE IN LEIPZIG – Wie ich den Black Metal nach Ostdeutschland brachte – Abo Alsleben, bookra Verlag, ISBN: 978394315067

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Lords Of Chaos – Michael Moynihan und Didrik Søderlind, Index Verlag, ISBN: 9783936878004

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Ort

Haus Leipzig, Leipzig

Kategorie

Setlist

Spielzeit

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