Al Jourgensen ist für viele der Erfinder des harten Industrial Metal. Mit seiner Hauptband MINISTRY hat er verschiedene Sounds kreiert, viele Höhen und Tiefen durchlebt und ein Genre geprägt. Es ist allgemein bekannt, dass Al exzessiv allerlei Suchtmittel konsumiert hat, was natürlich Spuren hinterlässt. Auf 304 Seiten schildert er sein bisheriges Leben aus subjektiver Sicht.
Beim Schreiben wurde Al durch Jon Wiederhorn, der schon für viele metallische Magazine und Formate tätig war, unterstützt.
Es ist gar nicht so einfach, diese Autobiographie zu besprechen, es geht ja um eine Bewertung des Buches und nicht um die Bewertung seiner Person, die mir nicht zusteht. Es gibt Passagen, in denen ich anderer Meinung bin als Al, eine inhaltliche Auseinandersetzung darf dann schon sein. Es mag auch daran liegen, dass ich seit 12 Jahren mit Süchtigen arbeite, dass ich einen speziellen Blick auf dieses Buch habe.
Die Autobiographie ist nicht streng chronologisch aufgebaut. Sie beginnt mit einem Zusammenbruch Als, der für ihn erneut den Ausschlag gab, etwas in seiner Lebensführung zu ändern. Sehr drastisch schildert er seinen damaligen Zustand und die Geschehnisse – so explizit brauche ich das nicht. Hier beginnt, was sich durchzieht. Es wird häufiger gesagt, dass Al dem Tod einige Male von der Schippe gesprungen ist. Das klingt so heldenhaft. Auch wenn er es nicht erwähnt wird deutlich, dass er gleichzeitig fast alles dafür getan hat, überhaupt mehrmals (z.T. mit Anlauf) auf die Schippe zu kommen, was weniger clever ist. Insgesamt sind mir die Schilderungen von Exzessen zu langatmig und sie wiederholen sich stetig. Mit der Zeit langweilt es, zum zigsten Mal zu lesen, dass er sich alle Stunde eine Speedball injiziert hat. Der Konsum hatte natürlich nicht nur selbstzerstörerische Auswirkungen. Auch das Zerlegen von Hotelinventar und anderes asoziales Verhalten wird mir im Nachhinein zu positiv dargestellt. Klar, wenn man 1,5 Millionen als Vorschuss für eine Platte bekommt, kann man sich halt aus der selbst gebauten Scheiße freikaufen. Sicherlich sind Musiker auf Tour keine Chorknaben, die Auswirkungen des eigenen Verhaltens auf andere darf man aber schon im Blick behalten. Auch bei der Bewertung anderer kommt Al sehr selbstgerecht rüber. Das Motto ist: wenn ich jemanden nicht mag, ist das ein Freibrief, ihm eine reinzuhauen oder sonst wie zu schaden. Na ja, auch nicht mein Standpunkt.
Was mir an Ákte Ministry´ gut gefällt, sind die immer wieder eingestreuten Zwischenrufe wie Interviews mit Bezugspersonen, wie Mitmusikern, Vater oder Frau. Diese stellen die Dinge, die Al beschreibt, zum Teil auch anders da. Es ist bemerkenswert, dass es da keine Zensur gab.
Leider fällt gerade der letzte Zwischenruf sehr schwach aus. Al schreibt ein oberflächliches Pamphlet zu seinen politischen Ansichten. Da hätte ich - so wie ich ihn im Interview kennengelernt habe - wesentlich mehr erwartet. Er will beispielsweise die Bürger umerziehen. Das ist doch recht blauäugig. Wie wäre es mit überzeugen? Al sagt auch, dass man nur über Folgen des Handeln informieren muss, damit sich die Leute „richtig“ verhalten. Nichts gegen Informationen, er selbst beweist auf den 280 vorangegangenen Seiten, dass die alleine nicht reichen. Al hatte das Wissen und die Erfahrungen über die schmerzhaften Folgen des Drogenkonsums, das scheint nicht gereicht zu haben, um etwas zu ändern. Und über die Folgen des Klimawandels weiß man ja auch auf dem gerade zu beendeten Gipfel Bescheid – das scheint auch nicht wirklich handlungsleitend zu sein.
Neben all diesen persönlichen Ansichten und Erlebnissen gibt es auch viele interessante Inforationen zur Entwicklung von MINISTRY, die ja als poppige Electro Band angefangen haben und mit DEPECHE MODE oder THE POLICE auftraten. Es bedurfte S.O.D und RIGOR MORTIS um dem Sound die fetten Gitarren zuzufügen. Allein dafür gilt diesen beiden Bands ein fetter Dank. Auch die Differenzen zwischen Al und seinem langjährigen Partner Paul Barker werden - wie bei einer Autobiographie üblich - subjektiv thematisiert.
Über die Zusammenarbeit mit andern zum Teil sehr prominenten Musikern zum Teil im Rahmen REVOLTING COCKS wird jeder Leser sicher Neues erfahren.
Zum Ende dann erklärt Al, dass er jetzt der Sucht entkommen ist, da er ja aktuell kein Heroin, Kokain, LSD und was nicht noch konsumiert. Er trinkt jetzt nur noch jede Menge Bier - toll. Damit treibt er mal wieder den Teufel mit dem Beelzebub aus. Seine eigene Geschichte zeigt, dass das in aller Regel nicht funktioniert. Da sind wir dann wieder beim Pamphlet.
Das Buch ist für MINISTRY Fans sicher sehr lesenswert, weil es bisher unbekannte Infos enthält und einen Eindruck von Al Jourgensen vermittelt, den man so bisher nicht gewinnen konnte. Wie man danach zu Al und seinen Ansichten steht, muss jeder selber entscheiden. Al bemüht sich als coole Sau dazustehen, ich gewinne eher den Eindruck eines armen Schweins.
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