War früher wirklich alles besser? „Oder waren im Grunde schon immer alle bescheuert und wir werden in unserer individuellen Wahrnehmung bloß permanent kackendreist von unserem rotzfrechen Bewusstsein verarscht […]?“ Oliver Kalkofe stellt in schweren Zeiten die Frage aller Fragen und versucht auf 235 Seiten einer Antwort näher zu kommen.
Kaum jemand ist in den letzten 20+ Jahren so tief in die Abgründe deutscher Medien hinabgestiegen wie der in Engelbostel geborene Oliver Lars Fred Kalkofe. Warum er das tut? Ich kann nur vermuten, aber wer seine Jugend (oder irgendeinen anderen Teil des Lebens) in Peine verbringen musste, entwickelt wohl zwangsläufig einen gewissen Hang zum Masochismus. Hubsi Heil suchte sein therapeutisches Glück als Minister der Ampel-Koalition und Kalkofe bahnte sich seinen Weg über das Frühstyxradio, Kalkofes Mattscheibe bis hin zu regelmäßigen Auftritten in Film und Fernsehen. Das Geheimnis seines Erfolgs war dabei stets ein waches Auge für gesellschaftliche bzw. mediale Entwicklungen und eine spitze Zunge, die diese Entwicklungen dem Zuhörer, Zuschauer oder eben Leser pointiert nahebringen kann. Und so darf man auch in seinem neuesten Werk „Sieg der Blödigkeit. Ist die Vernunft noch zu retten?“ messerscharfe Analysen und ebenso scharfe Kommentare zum Status Quo erwarten. Immerhin geht es um nicht weniger als um die „Generation H.O.R.S.T.“!
Und wenn es nicht ein Fünkchen Hoffnung gebe, dass diese dem „Publikum mit vorsätzlicher Boshaftigkeit als moderne junge Erwachsene der Neuzeit“ vorgestellten „popularitätssüchtigen Persönlichkeits-Parodien“ nicht den Großteil der jungen Gesellschaft repräsentieren, dann lohnt es sich wohl auch nicht, Kalkofes Buch bis zur letzten Seite zu lesen. Dann sollte man sich besser gleich mit einer Überdosis RTL2 in die ewigen Jagdgründe televisionieren.
„Hackedoof, Oberflächlich, Riemig, Selbstverliebt & Tätowiert“ (kurz: H.O.R.S.T.) ist möglicherweise tatsächlich die Antwort darauf, dass der Traum, „dass man es mit eigener Hände Arbeit, Fleiß und Ehrlichkeit bis ganz nach oben schaffen kann“ ausgeträumt zu sein scheint. Als Konsequenz entwickelt sich eine mediale Parallelwelt, in der fehlendes Talent, fehlende Geisteskraft, von Bildung ganz zu schweigen, oder fehlende Werte lange kein Grund mehr sind, um nicht erfolgreich zu sein. Gerade vorhin wurde mir von einer ernst dreinblickenden Jungdame per Social Media eine Vorlesung über die fünf Kennzeichen von Hochbegabung gehalten: Erstes Kennzeichen sei demzufolge fehlende Bereitschaft zum Sport und stattdessen übermäßiges „geistliches“ (sic!) Interesse. Kann man sich auch mal merken. Vielleicht strömen daher so viele Menschen zu Weihnachten in die Kirche. Hochbegabung!
Kalkofe schreibt sich durch das Dickicht von Themen wie „Traumberuf Influencer“, moderner „Warnkultur“, Lust an der Wut und „Pöbel-Poesie“ sowie KI und Werbung und kommt schließlich erhobenen Hauptes im Kapitel „Fragen zur Zeit“ wieder ans Tageslicht, um festzustellen, dass es in „der modernen Mediennutzung […] längst nicht mehr um Aussagen und Inhalte [geht], stattdessen folgt man dem Motto: Schneller – Kürzer – Mehr!“.
Obwohl Kalkofe natürlich auch in seinem vorliegenden Buch nicht aus dem maßgeschneiderten Jackett des kritischen Comedians schlüpft, steht „Sieg der Blödigkeit. Ist die Vernunft noch zu retten?“ durchaus auf einem massiven politischen Fundament. Daher sollte man nicht den Fehler begehen, dass Buch als bloßen Klamauk abzutun. Kalkofe wirft ein helles, und durchaus auch erschreckendes Licht auf bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen, die in der ausufernden Medienlandschaft in ihrer ganzen entfesselten Blödigkeit offenbar werden. „Fast so, als hätte jemand eine zynische Dystopie darüber geschrieben, wie sich die Menschheit selbst an die Hand nimmt und dümmlich grinsend mit ihr auf der Eisenbahnstraße durchs Fegefeuer on die Heilige Hölle der Ewigen Verblödung schreitet.“ Eine Realität – und das erkennt auch Kalkofe – der man sich stellen muss. Schade nur, dass seine analytische Gesellschaft- und Medienkritik am Ende auch nur diejenigen erreichen wird, die sich ohnehin schon mit fassungslosem Kopfschütteln über den nächsten TicToc Trend und die Ochsenpimmel-futternden Reality-Stars wundern. Wie in der realexistierenden Psychiatrie, wird man wohl die eigentlich betroffenen nicht mit einem wohlgemeinten Fingerzeig vom sinnbefreiten Lebensinhalt befreien können. Und doch will ich sagen, dass Kalkofe mit „Sieg der Blödigkeit. Ist die Vernunft noch zu retten?“ ein ebenso unterhaltsames wie bewegendes und aufrüttelndes Buch geschrieben hat, welches man sich spätestens nach Weihnachten heimlich im Austausch für einen Gurkenschälhandschuh oder eine „Best of Dschungelcamp DVD -Box“ besorgen sollte. In diesem Sinne überlassen wir dem Meister persönlich das Schlusswort:
„Wenn Sie wollen, dürfen Sie ihr eigenes Gehirn nach Herzenslust benutzen und beliebig viel damit nachdenken, sogar ohne aktualisierte Statusmeldung auf Instagram. Probieren Sie es doch einfach mal wieder – am Anfang vielleicht ungewohnt, aber am Ende werden Sie es lieben.“
Hardcover
Originalausgabe
272 Seiten.
22,00 € (DE) / 22,70 € (AT)
ISBN/GTIN: 978-3-426-56056-3
Kaum jemand ist in den letzten 20+ Jahren so tief in die Abgründe deutscher Medien hinabgestiegen wie der in Engelbostel geborene Oliver Lars Fred Kalkofe. Warum er das tut? Ich kann nur vermuten, aber wer seine Jugend (oder irgendeinen anderen Teil des Lebens) in Peine verbringen musste, entwickelt wohl zwangsläufig einen gewissen Hang zum Masochismus. Hubsi Heil suchte sein therapeutisches Glück als Minister der Ampel-Koalition und Kalkofe bahnte sich seinen Weg über das Frühstyxradio, Kalkofes Mattscheibe bis hin zu regelmäßigen Auftritten in Film und Fernsehen. Das Geheimnis seines Erfolgs war dabei stets ein waches Auge für gesellschaftliche bzw. mediale Entwicklungen und eine spitze Zunge, die diese Entwicklungen dem Zuhörer, Zuschauer oder eben Leser pointiert nahebringen kann. Und so darf man auch in seinem neuesten Werk „Sieg der Blödigkeit. Ist die Vernunft noch zu retten?“ messerscharfe Analysen und ebenso scharfe Kommentare zum Status Quo erwarten. Immerhin geht es um nicht weniger als um die „Generation H.O.R.S.T.“!
Und wenn es nicht ein Fünkchen Hoffnung gebe, dass diese dem „Publikum mit vorsätzlicher Boshaftigkeit als moderne junge Erwachsene der Neuzeit“ vorgestellten „popularitätssüchtigen Persönlichkeits-Parodien“ nicht den Großteil der jungen Gesellschaft repräsentieren, dann lohnt es sich wohl auch nicht, Kalkofes Buch bis zur letzten Seite zu lesen. Dann sollte man sich besser gleich mit einer Überdosis RTL2 in die ewigen Jagdgründe televisionieren.
„Hackedoof, Oberflächlich, Riemig, Selbstverliebt & Tätowiert“ (kurz: H.O.R.S.T.) ist möglicherweise tatsächlich die Antwort darauf, dass der Traum, „dass man es mit eigener Hände Arbeit, Fleiß und Ehrlichkeit bis ganz nach oben schaffen kann“ ausgeträumt zu sein scheint. Als Konsequenz entwickelt sich eine mediale Parallelwelt, in der fehlendes Talent, fehlende Geisteskraft, von Bildung ganz zu schweigen, oder fehlende Werte lange kein Grund mehr sind, um nicht erfolgreich zu sein. Gerade vorhin wurde mir von einer ernst dreinblickenden Jungdame per Social Media eine Vorlesung über die fünf Kennzeichen von Hochbegabung gehalten: Erstes Kennzeichen sei demzufolge fehlende Bereitschaft zum Sport und stattdessen übermäßiges „geistliches“ (sic!) Interesse. Kann man sich auch mal merken. Vielleicht strömen daher so viele Menschen zu Weihnachten in die Kirche. Hochbegabung!
Kalkofe schreibt sich durch das Dickicht von Themen wie „Traumberuf Influencer“, moderner „Warnkultur“, Lust an der Wut und „Pöbel-Poesie“ sowie KI und Werbung und kommt schließlich erhobenen Hauptes im Kapitel „Fragen zur Zeit“ wieder ans Tageslicht, um festzustellen, dass es in „der modernen Mediennutzung […] längst nicht mehr um Aussagen und Inhalte [geht], stattdessen folgt man dem Motto: Schneller – Kürzer – Mehr!“.
Obwohl Kalkofe natürlich auch in seinem vorliegenden Buch nicht aus dem maßgeschneiderten Jackett des kritischen Comedians schlüpft, steht „Sieg der Blödigkeit. Ist die Vernunft noch zu retten?“ durchaus auf einem massiven politischen Fundament. Daher sollte man nicht den Fehler begehen, dass Buch als bloßen Klamauk abzutun. Kalkofe wirft ein helles, und durchaus auch erschreckendes Licht auf bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen, die in der ausufernden Medienlandschaft in ihrer ganzen entfesselten Blödigkeit offenbar werden. „Fast so, als hätte jemand eine zynische Dystopie darüber geschrieben, wie sich die Menschheit selbst an die Hand nimmt und dümmlich grinsend mit ihr auf der Eisenbahnstraße durchs Fegefeuer on die Heilige Hölle der Ewigen Verblödung schreitet.“ Eine Realität – und das erkennt auch Kalkofe – der man sich stellen muss. Schade nur, dass seine analytische Gesellschaft- und Medienkritik am Ende auch nur diejenigen erreichen wird, die sich ohnehin schon mit fassungslosem Kopfschütteln über den nächsten TicToc Trend und die Ochsenpimmel-futternden Reality-Stars wundern. Wie in der realexistierenden Psychiatrie, wird man wohl die eigentlich betroffenen nicht mit einem wohlgemeinten Fingerzeig vom sinnbefreiten Lebensinhalt befreien können. Und doch will ich sagen, dass Kalkofe mit „Sieg der Blödigkeit. Ist die Vernunft noch zu retten?“ ein ebenso unterhaltsames wie bewegendes und aufrüttelndes Buch geschrieben hat, welches man sich spätestens nach Weihnachten heimlich im Austausch für einen Gurkenschälhandschuh oder eine „Best of Dschungelcamp DVD -Box“ besorgen sollte. In diesem Sinne überlassen wir dem Meister persönlich das Schlusswort:
„Wenn Sie wollen, dürfen Sie ihr eigenes Gehirn nach Herzenslust benutzen und beliebig viel damit nachdenken, sogar ohne aktualisierte Statusmeldung auf Instagram. Probieren Sie es doch einfach mal wieder – am Anfang vielleicht ungewohnt, aber am Ende werden Sie es lieben.“
Hardcover
Originalausgabe
272 Seiten.
22,00 € (DE) / 22,70 € (AT)
ISBN/GTIN: 978-3-426-56056-3
Kategorie
V.Ö.
04. November 2024
Verlag
Knaur