„Wer zu spät kommt, wird bestraft“ – so erklärte uns unser Sozialkundelehrer frei nach Gorbatschow die Veränderungen im Osten. Unter dem Motto „Pünktlich kann jeder!“ kämpfen die etwa 80 Cartoonisten nicht etwa für die Rückkehr des realexistierenden Sozialismus, sondern für eine neue Gelassenheit im Umgang mit der Pünktlichkeit – und das bereits in zweiter Auflage.
Vom Winterschlaf, über verschiedene Zeitzonen bis hin zur Reise in die Urzeit wird das Thema Zeit auf unterschiedlichste Weise aufs Korn genommen. Dabei wurden auch ganz gegenwärtige Fälle von „Zu Spät“ zu Papier gebracht, etwa wenn Miguel Fernandez die Kunstfreunde eine halbe Stunde ehrfürchtig vor den Schmierereien im Herrenklo stehen lässt oder wenn Juliane Dorow den Klapperstorch verzweifelt die richtige Adresse für seine Zustellung suchen lässt. Philosophisch wird es, wenn die verprellte Braut die SMS des potentiellen Bräutigams nicht erhält oder die Trauergemeinde sich fragt, weshalb man den Verstorbenen eigentlich erst nach dessen Ableben mit lobenden Worten versieht.
Wie immer bei Sammelbänden bietet sich dem Betrachter nicht nur eine Fülle verschiedenster Themen, sondern auch eine große Bandbreite künstlerischer Darstellung und Zugänge – von den vielen verschiedenen Formen von Humor ganz zu schweigen. „Zu Spät“ bietet beste, oftmals kritische Unterhaltung für kurzweilige Stunden. Das einzige Manko meiner Ausgabe ist, dass die Leimung schon beim ersten kräftigen Aufschlagen aus den Fugen geraten ist – das würde mich als Käufer dann doch ärgern. Doch dann wäre es natürlich bereits zu spät!