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Ich weiß, dass meine Reviews vergleichend sind, vielleicht manchmal verkopft reflektierend, sehr persönlich. Musik wirkt assoziativ und emotional. Und wider Erwarten gibt es für mich bei NIGHTWISHs neuestem Werk eine sehr persönliche emotionale Komponente. 
NIGHTWISHs Single Once war 2004 die Verlockung der Band. Mit der Trennung von Tarja Turunen gab ich der Band mit ihrer Nachfolgerin Anette Olzon noch eine Chance beim Album Dark Passions Play. Dann war Schluss. Ich verfolgte eher Tarja, weniger wegen ihres Gesangs, der sich für mich wie abnehmender Grenznutzen verhält [je mehr/je länger, umso eher brauche ich eine (längere) Pause], sondern weil ich besonders die Gitarrenarbeit bei den Kompositionen deutlich ansprechender finde, als es das Akkordgeballere bei NIGHTWISH ausmacht. Das übt - wenn sie "auf Last" spielen - für mich abnehmenden Grenznutzen aus. 
Der Promobegleittext zum neuesten NIGHTWISH Album war übersichtlich, dafür aber war das mitvorgelegte Booklet in digitaler Ausführung überaus informativ. 
NIGHTWISH beschäftigten für das Album ein ausgewachsenes Orchester und mehrere Chöre. Dazu kommen bestimmte Instrumente des Bandinstrumentariums nicht aus digitalen Prozessoren, sondern sie sind echt (Dudelsack, Flöten). Wer betreibt heute noch diesen Aufwand für eine Produktion, wenn alles digital mittels Plug-Ins möglich wäre? Oder durch AI.
Wenn NIGHTWISH aufdrehen, ist es wörtlich bombastischer Symphonic-Metal. Die Drums sind mir zu unpassend dominant, wenn das Orchester spielt und ein Metalschlagzeug unbarmherzig den Takt angibt. Das klang bei Tarja Turunen und Drummer Mike Terrana für mich allerdings auch nicht überzeugend. 

Yesterwynde geht für mich nicht in meine Sammlung der herausragenden Alben ein.
Jedoch hat es genug Elemente, die es für mich hörenswert machen. Und das ist bis auf eine klassische Symphonic-Metal-Komposition namens Spider Silk (packender Refrain), wenn NIGHTWISH eben nicht aufdrehen, sondern zurückhaltend vortragen - also Gevatter oder Mutter Metal Pause macht.  
Die Klammer des Albums ist das Anlaufgeräusch eines Filmprojektors zu Beginn beim Opener Yersterwynde und das Auslaufgeräusch des selbigen am Ende des Schlussliedes Lanterlight. Daraus ergibt sich das Gefühl, einen alten Film auf Filmrolle anzuschauen.  
Durch die aufgebaute Atmosphäre sind es der Opener Yesterwynde, der zuerst nur mit Chor und Orchester startet, bevor Floor Jansen sich stimmlich dazugesellt und dann wie ein Folklied ausklingt. Es sind ferner das Duett Sway, dann Something Whispered Follow Me ("klassischer" Symphonic-Metal) wegen seiner Harmonien, Hiraeth mit der Dudelsack-begleiteten zweiten Liedhälfte und das ebenfalls Dudelsack dominierte Outro von An Ocean Of Strange Islands. 
Und die Dudelsackklänge treffen mich in meiner Seele. Vor ein paar Monaten verlor ich meinen besten Freund nach einem halben Jahr schwerer Erkrankung -  trotz guter Heilungsprognose starb er überraschend einen Tag nachdem ich ihn am Krankenbett besuchte. Ich hatte die Ehre und Last seine Urne zu seiner letzten Ruhestätte unter einer Buche in einem Friedwald zu tragen und "den Staubigen" in die Grube zu stellen. Vom Andachtsort zum Grab lief ein Dudelsackspieler voran, der den letzten Gang begleitete. Nach einem Trompetereinsatz ließ ich die Urne in die Grube hinab und der Dudelsackspieler entfernte sich mit einer Melodie. Viele Trauergäste wollten dem Dudelsackspieler am Liebsten einen Glasgow Handshake, ein Yorkshire Greeting oder ein four knuckled Hello verpassen, weil sein schönes Spiel so in die Seele stach und hart melancholisch war. Und der Verlust nagt immernoch schwer an mir und so bildeten und bilden sich beim Anhören dieser Dudelsackklänge auf dem NIGHTWISH Album immer wieder Tränen. Und auch beim Schreiben dieser des Reviews, so dass ich zum Unterbrechen kurz Innehalten musste. Vom zeitlich begrenzten Stocken des Schreibflusses merken die Leser natürlich nichts.  

Weil mich das Album besonders mit diesen Teilen packte und Emotionen auslöste, bewerte ich es noch als ein sehr gutes Album.

Kategorie

V.Ö.

20. September 2024

Label

Nuclear Blast

Spielzeit

73:55 min

Tracklist

01 Yesterwynde
02 An Ocean Of Strange Islands
03 The Antikythera Mechanism
04 The Day Of...
05 Perfume Of The Timeless
06 Sway
07 The Children Of 'Ata
08 Something Whispered Follow Me
09 Spider Silk
10 Hiraeth
11 The Weave
12 Lanternlight

Line Up

Floor Jansen - Gesang
Tuomas Holopainen - Keyboard
Emppu Vuorinen - Gitarre
Jukka Koskinen - Bass
Troy Donockley - Uilleann Pipes (= irischer Dudelsack), Flöte, Akustikgitarre, E-Gitarre, Bouzouki, Bodhrán, Aerophon, Gesang
Kai Hahto - Schlagzeug & Perkussioninstrumente

Bewertung

1