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Kriege, Klimakrise, ausufernder Kapitalismus samt wachsender Armut, zunehmender Extremismus, Volksverdummung wohin man sieht. Die Welt ist in zahlreichen Belangen viel zu wahr, um schön zu sein. Da fühlt man sich doch wirklich urlaubsreif… und wenn es auch nur für einen „Urlaub in der Bredouille“ reicht.

DRITTE WAHL haben zehn neue Songs in ihre Koffer gepackt und machen sich auf, um der Welt den Spiegel vorzuhalten. Heraus blickt die schaurige Fratze der Realität, verpackt in Punkrock zwischen poppig bis metallisch. Dass DRITTE WAHL mittlerweile versiertere Songwriter sind als noch in den 90ern und sich mit ihrem musikalischen Schaffen auch durchaus einem Mainstream-Publikum geöffnet haben, dürfte spätestens mit „3D“ (2020) klar geworden sein. Ein Album, welches mir auf Konserve streckenweise etwas zu brav und glatt rüberkam. Auf „Urlaub in der Bredouille“, welches von Jörg Umbreit in den Principal Studios aufgenommen wurde, klingt alles wieder etwas roher und druckvoller, als auf dem Vorgänger. Bemerkenswert ist dabei die stilistische Vielfalt bei der Ausarbeitung der einzelnen Songs. Während das eröffnende „Wir schießen die Milliardäre ins All“ im Stile von den DONOTS raketenmäßig abgeht, steigt „Simulation“ mit einem echten Metal-Riff ein, welches irgendwo zwischen harten SAXON und RUNNING WILD rangiert. Das titelgebende „Urlaub in der Bredouille“, „Panama“ oder auch „Das regelt der Markt“ – welches bereits hinreichend aus dem Liveprogramm bekannt sein dürfte – enthalten hingegen auch poppigere Elemente und Arrangements, die man bspw. auch von jüngeren THE BOSS HOSS Songs kennt. Allerdings rutschen DRITTE WAHL dabei nicht in den Kitsch oder Klebepop ab, sondern der Vierer achtet peinlichst darauf, dass sich Melodien, Eingängigkeit, Keyboards, Bläser usw. und kernige Gitarren sowie eine kraftvolle Rhythmussektion stets die Waage halten. Und mit „Edwin Aldrin“ gibt es dann wiederum einen lupenreinen Punkrocksong mit straighten Riffs und supereingängigem Refrain. „Statistik“ greift am ehesten die Vorliebe der Band für SKA-Elemente auf, ohne wirklich ein SKA-Song zu sein. Vielmehr gibt es mit diesem Song am Ende der Scheibe nochmal einen richtig geilen Refrain geboten. Die Singleauskopplung „Keine Zeit für weiße Fahnen“ ist inhaltlich und musikalisch ein lupenreiner DRITTE WAHL Smasher, der bei mir jedoch einige Durchläufe benötigte. Mit „Der Spion“ reisen die Rostocker in die Zeit des Kalten Krieges zurück und liefern einen regelrecht cineastisch anmutenden Song ab, in dem sich der Protagonist durch die Welt der Spione schlängelt.
Und auch wenn sich DRITTE WAHL musikalisch möglicherweise dem Mainstreampublikum öffnen, so bleibt man sich doch inhaltlich 100% treu und verzichtet auf sinnloses Getexte. Vielmehr bringen es Gunnar & Co mal wieder fertig, in jedem Song relevante Themen mit ihrem ureigenen Humor genau auf den Punkt zu bringen. DRITTE WAHL rangieren damit weit jenseits des stumpfen Anti-Punkrock, sind aber zu jeder Sekunde hochpolitisch und scheuen nicht davor zurück den Finger immer wieder in die klaffenden Wunden unserer Welt zu legen. Dazu passt, dass das Booklet der CD den Fokus auf den Abdruck der Lyrics legt und sich nicht als Spielplatz irgendeines Layouters entpuppt.
Wer die entsprechende Vinyl- oder CD-Version gekauft hat, der bekommt zum Studioalbum noch eine komplette Show der 3D-Tour aus Leipzig als Bonus dazu. Angesichts der sensationellen Preisgestaltung versteht es sich, dass ich mir sowohl das drei CDs umfassende Digi-Pack besorgt habe, als auch die Version mit insgesamt vier LPs, die es für gerade mal 50 Euro im Shop der Band gab. In der heutigen Zeit, in der ein Re-Release von AC/DC, TYPE O oder METALLICA gerne mal kernige 45 Euro kostet, eine absolute Sensation, zumal das schmucke Teil gleich in mehreren Farben daherkommt. Angesichts der Tatsache, dass das Live-Album auch einen echten Mehrwert darstellt – auch wenn sich das Leipziger Publikum bei „Zeit bleib stehen“ deutlich weniger sangesfreudig zeigt als die Fans in Hannover oder Göttingen –, kann man nicht anders, als diesen Bundles einen fetten „Value for Money“ Stemple aufzudrücken. Anders kennt man es von DRITTE WAHL aber auch nicht.
Mit „Urlaub in der Bredouille“ knüpfen DRITTE WAHL für mich eher an „10“ an, als an „3D“ und liefern zehn Songs, von denen sich keiner als Nullnummer entpuppt. Ganz im Gegenteil überzeugt „Urlaub in der Bredouille“ durch musikalische Abwechslung und die der Band eigene Art, politische Schwergewichte so zu verpacken, dass man trotz allem noch Spaß beim hören der Scheibe hat und nicht das Bedürfnis hat, den Kopf irgendwo für die nächsten zehn Jahre in den Sand zu stecken.
Bleibt also nur festzustellen, dass „Urlaub in der Bredouille“ mit Sicherheit die gehaltvollsten Urlaubsgrüße sind, die man in der heutigen zeit bekommen kann. Kein Massentourismus, sondern Klasse statt Masse. Ich packe schon mal meinen Koffer, um der Truppe auf der hoffentlich anstehenden ausgiebigen Tournee hinterher zureisen. Vielleicht schreib ich euch dann mal eine Karte…

Kategorie

V.Ö.

15. Dezember 2023

Label

Dritte Wahl Records

Spielzeit

40 Min.

Tracklist

1 Wir schießen die Milliardäre ins All
2 Simulation
3 Urlaub in der Bredouille
4 Panama
5 Keine Zeit für weiße Fahnen
6 Das regelt der Markt
7 Edwin Aldrin
8 Steine im Weg
9 Der Spion
10 Statistik

Line Up

Gunnar – Vocals, Gitarre
Stefan – Vocals, bass
Holger – Vocals, Gitarre, Piano
Krel – Drums

Bewertung

1

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