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Ich gebe Nuno Bettencourt uneingeschränkt recht, nachdem ich das Album auf der Fahrt zur Maloche einige Male durchhörte (3,5 h im Auto) und auch schon vorab während sportlicher Aktivitäten, das Unerwartete zu erwarten, wenn man das Album durchhört. Und das Unerwartete entpuppt sich in diesem Fall als gaaaanz schlimme Nummer. Peinlich in Text und Komposition. Vielleicht verstehe ich auch nicht die darin etwaig transportierte Ironie oder Satire.
 
Beginnen wir woanders:
In meinem Umfeld waren einige Personen, die total angetan sind vom Album und davon ausgingen, dass es mir gefallen würde. 

EXTREME gibt es seit 1985, 15 Jahre war Albumruhepause, bevor man Six herausbrachte. Nuno Bettencourt - als Gitarrrist wahrlich nicht unbekannt - spielte mit RIHANNA und Steven Tyler (AEROSMITH). Seine Washburn N4 Gitarre ist ikonisch. Spielen konnten ich sie mal bei zwei Bekannten, die sie besitzen. Obwohl sie cool ist, aktivierte sie kein Guitar Acquisition Syndrome ('GAS'). Sänger Gary Cherone gehörte von 1996 bis 1999 zu VAN HALEN, manche VH-Fans empfinden das in dieser Phase entstandene Album III als unwürdig. Für sie gibt es nur VH mit David Lee Roth am Mikro oder Sammy Hagar. Ich gehöre eher zur Sammy Hagar Fraktion, weil ich VH erst in dieser Phase wirklich wahrnahm und schätzen und lieben lernte. DLR ist allerdings der erste Sänger von VH. Zudem ist das letzte Studioalbum von VH für mich eines, was ich immernoch gerne höre. III - das mit dem Gary Cherone - hat auch seine Berechtigung mit guten Nummern. Warum erwähne ich VAN HALEN? Weil vor allem im Spiel Bettencourts sehr viel Eddie van Halen zu hören ist.
Der Opener Rise ähnelt in einigen Abschnitten Don't Back Down von Eddies Sohn Wolfgang auf dessen Album Mammoth WVH (der gleichnamigen Band). 

EXTREME haben für mich das gleiche schwere Los wie MISTER BIG. Beide Bands haben einen technisch herausragenden Gitarristen (Paul Gilbert bei MISTER BIG, zudem noch der Überbassist Billy Sheehan) und sind - gut die Verkaufszahlen suggerieren vielleicht was anderes - bezogen auf Radio Air Play (vielleicht auch damals MTV) ein One-Hit-Wonder. Bei EXTREME ist es More Than Words. MISTER BIG besangen eine männlich gelesene Person namens Tobi Wissjuh (natürlich To Be With You). Scherz Ende!
Will heißen: Beide Bands werden auf diese beiden Balladen reduziert. Welche anderen Songs ihrer Diskographie sind im ewigen Musikgedächtnis verankert?! Nun ja, man muss einräumen, sie haben es dorthin immerhin geschafft. Man stelle sich vor, man kennt nur IN FLAMES' Jester Race Transcripted, SEPULTURAs Kiowas und PANTERA mit...  bei denen gingen alle zart startenden Nummern in die Zerrstufe (Cementary Gates, Hollow, This Love). Okay, Suicide Note Pt. I blieb durchgängig in ruhigem Fahrwasser (und Suicide Note Pt. II war dann der erklärte Antipode) sowie das Cover Planet Caravan.
Beim besten Willen kann ich mich an keine Hard Rock/Metal Nummer EXTREMES erinnern, die in den letzten Jahrzehnten nachhaltig Aufmerksamkeit generierte. Ja, ich weiß, ich bin einfach kein echter EXTREME-Fan.

Rise als Opener (und seinerzeit erste Singleauskopplung) startet durch sorgt in der saitenquälenden Zunft mit seinem Solo für offene Münder. Den Anfang des Solos bildet sehr schnelles Alternate Picking, hier und da EVH-esques Bedienen des Floyd Rose Vibratosystems, Pinch Harmonics usw. Das Coole ist der Schlussteil des Solos mit etwas reduziertem Gain und einer Tonmodulation, die ich bisher noch nicht entschlüsseln konnte, und diese macht für mich bei dem Solo den Reiz aus. #Rebel bleibt in den Hardrockgefilden. Nummer 3 auf der Tracklist (Banshee) ist ebenfalls eine Hardrocknummer, bei der für mich das Schlagzeug einen sehr schönen Raumklang bekommen hat und nicht kompromiert abgemischt wurde wie auf den anderen "zünftigen" Liedern des Albums. Warum hat man das nicht beibehalten? Die Gitarrenarbeit ist für meine Ohren wieder eine - ich formuliere positiv - Verneigung vor Eddie van Halen.
The Other Side Of The Rainbow gehört für mich zu den ganz lichten Momenten des Albums als Up-Tempo Akustiknummer (nicht in der für die Ewigkeit geltenden Qualität von More Than Words oder MISTER BIGs To Be With You). Aber es ist eine schöne leichtfüßige Nummer. Beim Solo darf Nunos berühmte Washburn N4 elektrisch singen. Das Intro weckt kurz entfernte Erinnerungen an PANTERAs Cementary Gates und in der Bridge versucht Gary Cherone ein wenig Freddy Mercury nachzueifern. Es bleibt für mich trotzdem eine sehr gefällige Nummer.

EXTREME bleiben danach in Akustikgefilden mit dem Lied Small Town Beautiful. Vor dem geistigen Auge mischt sich natürlich jetzt MISTER BIG mit EXTREME, wenn man das Lied auf sich wirken lässt. Die Bandmitglieder sitzen auf dem Küchentisch oder drumherum, der Schlagzeuger klopft den Takt vorgegebend auf seine Oberschenkel mit den Handflächen, dazu Akustikgitarre, der Akustikbass, und alle wippen im Takt mit und singen schmachtend im Chor. 
Nach diesen Balladen kommen mit The Mask und Thicker Than Blood wieder zwei Hardrocknummern, wobei man bei Thicker Than Blood noch ein wenig in der Elekrokiste kramt. Beide Nummern sind sehr kompromiert, anhörbar, aber keine Highlights. Save Me gefällt mir dann wieder gut besonders durch den Refrain. 
Hurricane ist eine Akustikgitarrennummer. Sie startet reduziert instrumentiert und bekommt gegen Ende ein paar Streicher vom Sythesizer. Stimmlich ein Duett Cherones und Bettencourts. Es ist nett anzuhören - wird jedoch ebenfalls nie ein More Than Words. 
X Out ist Elektro-Rock, der einen gewissen Charme entwickelt. Der Pre-Chorus und die Bridge wabert mit dem Sythesizer so, als hätte DAVID GUETTA seine Finger im Spiel gehabt. X Out gehört für mich ebenso auf die Liste der sehr interessanten Nummern. Auch hier ist es Elektro-angereicherter Rock. 
Und dann kommt als vorletztes Lied der Totalschatten und -schaden von Six. Brennt der Hut? Nagel im Kopf? Oder Lack gesoffen? Beautiful Girls ist von den Lyrics ein Lied, wo man sich die Frage stellt: Ist es 'lyrisches ich' oder reales ich? Das kennt man ja aktuell aus den Anschuldigungen gegen einen hier nicht weiter bezeichneten Sänger. Wenn 60 Jährige von schönen Mädchen singen, die auf der Welt suchen, wird es spooky im Kopf. "Come a little bit closer..." Wäre es nicht adäquater in dem Alter besser von mature Wives - oder meinethalben auch unter Verwendung anzüglicher Bezeichnungen - zu singen? Auch die Mucke passt eher zu einer Bieroase auf Malle, denn zu einer Hardrockband. Beim E-Gitarrensolo schimmert ein wenig Brian May (QUEEN) durch (denkbare Inspiration bei den Harmonieparts). 

Den Abschluss des Albums bildet eine Akustikballade (Here's To The Losers), bei der Bettencourt am Gesang startet, dann Cherone übernimmt und der Refrain im Chor angestimmt wird. Bettencourt liefert ein leicht angezerrtes E-Gitarrensolo auf dem Halstonabnehmer seiner Gitarre. Here's To The Losers klingt aus als A Cappella, bei der vermutlich auf einem Konzert der Chor der Fans mitgeschnitten worden war. Die Nummer tut auf alle Fälle nicht weh.

Vor dem Fazit greife ich das das Albumcover - ein Gorillagesicht - auf: Es ist natürlich alles Geschmackssache, sagt der Gorilla und beißt in die Kernseife.        Grob bietet das Album auf der einen Seite Hardrocknummern unterschiedlicher Qualität und Güte, die hier und da Eddie van Halen bei der Gitarrenarbeit ehren, auf der anderen Seite sind es Akustikgitarrenballaden. Und dann ist da noch die Nullnummer Beautiful Girls. Ohne dieses Lied hätte man wenigstens eine klare stilistische Zweiteilung und ein halbwegs stimmiges Album abgeliefert.
 
Auf der für mich unstrittig sehr positiv bewerteten Seite sind Rise, Banshee, The Other Side Of The Rainbow, Safe Me und X Out. Small Town Beautiful, Here's For The Losers und Hurricane wäre die Gruppe der danach noch guten Nummern. Die restlichen Hardrocknummern sind i. O., reißen mich nicht vom Hocker.
Und die Streichnummer wäre... Aber sie schaffte es aufs Album. Mich interessiert hier auch nicht die übliche rhetorische Frage eines verstorbenen Literaten und Kritikers: "Was will uns der Autor damit sagen?" Diese Nummer ist in meinen Ohren und mit meinem Verstand ein Affront für echte EXTREME-Fans.
Six ist - das mag vielleicht beruhigen - weit weg von "Setzen! Sechs!" Für mich ist es ein durchschnittliches Album, was nur durch ein paar doch ganz gute Nummern auf diese Bewertungsstufe kommt.

Kategorie

V.Ö.

09. Juni 2023

Label

earMUSIC

Spielzeit

52:42 min

Tracklist

01 Rise
02 #Rebel
03 Banshee
04 Other Side Of The Rainbow
05 Small Town Beautiful
06 The Mask
07 Thicker Than Blood
08 Save Me
09 Hurricane
10 X Out
11 Beautiful Girls
12 Here's To The Losers

Line Up

Gary Cherone - Gesang
Nuno Bettencourt - Gitarre, Backgroundgesang
Pat Badger - Bass
Kevin Figueiredo - Schlagzeug

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Bewertung

1

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