Oomph sind wohl eine der Bands, die schon früh auf mein gerade erwachsenes Ich einen großen Einfluss hatten. Da ich als Jugendlicher, wie vermutlich jeder, musikalisch noch viel am experimentieren war und zwischen Sepultura, WIZO und Tupac hin und her geschwankt bin, bin ich auch mit dem 1992 veröffentlichen Debüt der jungen Braunschweiger in Berührung gekommen. Und was soll ich sagen, ich fand es blöd. Das war mir einfach zu wenig Stromgitarre und zu viel DAF, und welcher Jugendliche kann mit DAF schon was anfangen? Also Liebe auf den ersten Blick war es nicht unbedingt. Da man sich aber immer zweimal im Leben sieht, war ich ein paar Jahre später bei „Defekt“ und „Wunschkind“ doch an Bord und spätestens seit dem Album „Unrein“ begleitete mich Oomph, wo immer ich hinging. „Unrein“ ist mittlerweile 25 Jahre alt, ich bin mittlerweile alt, und was war das für ein wilder Ritt die nächsten Jahre. Stetige musikalische Weiterentwicklung, mit der „Neuen deutschen Härte“ ein Genre maßgeblich geprägt, ohne dessen Zutun von Oomph manch namhafte Band heute gar nicht denkbar wäre, kritische Texte, Nr. 1 und Top Ten Hits und Alben, unzählige Konzerte in sehr kleinen und größeren Hallen, zu denen ich gereist bin, bis hin zum für mich letzten Liveauftritt von Oomph am 01. März 2020 in Osnabrück. Zwei Wochen später stand Deutschland erst einmal still. Im September im darauffolgenden Jahr kam die Nachricht, die für Fans wahrscheinlich ziemlich schockierend war. Mich hat es jedenfalls ziemlich erwischt. Dero, Crap und Flux gehen ab jetzt getrennte Wege. Die Gründe kann man nachlesen, darum soll es hier nicht gehen. Ab da war es ziemlich still. Wir wussten, das es weitergeht, aber wie? Wer soll die Lücke füllen? Lässt sie sich überhaupt füllen? Auf die Antwort mussten die Fans lange warten, nämlich bis zum 22.6 diesen Jahres, an dem der neue Sänger präsentiert wurde. Und da kommt eine weitere Band ins Spiel, die ich seit ihrer Gründung verfolge und feiere. Der neue Sänger ist niemand Geringerer als Daniel „Der Schulz“ Schulz, Sänger und Mützenträger von Unzucht. Und wenn Musiker aus zwei Bands, die ich sehr schätze, ihre Kreativität verbinden und am kommenden Freitag ein Album releasen, kann doch eigentlich nichts schief gehen. Oder?
Das erste musikalische Lebenszeichen des neuen Albums war die Single und der Opener des Albums „Wem die Stunde schlägt“. Und passender als mit diesem Knall kann man gar nicht von sich reden machen. „Totgesagt, doch stehen noch. Verdammt wir leben immer noch“.
Und das tun Oomph tatsächlich. „Richter und Henker“ setzt da an, wo „Ritual“ aufgehört hat und dabei präsentieren sich Oomph sehr lebendig. Inhaltlich vielschichtig und den Finger in Wunden legend wie zum Beispiel bei der zweiten Single „Richter und Henker“, die sich mit unserer seit den vergangenen Jahren vorherrschenden Hasskultur auseinandersetzt, oder der frisch erschienenen Anti- Kriegs- Single „Nur ein Mensch“. Wie ein roter Faden zieht sich das Thema zwischenmenschliche Beziehungen („Soll das Liebe sein“, „Nichts wird mehr gut“) und menschliche Abgründe („Schrei nur Schrei“) durch dieses Album. Und da Oomph uns noch nie ihre Message plakativ ins Gesicht gerieben haben, bieten die Songs auch auf „Richter und Henker“ wieder genügend Interpretationsspielraum. So auch beim Song „Wut“, das gemeinsam mit Joachim Witt gesungen wird. „Wut ist nur Angst im schwarzen Kleid. Sie ist die Plage dieser Zeit“
Auch musikalisch bleibt sich Oomph treu, oder in ihrem Fall eben nicht. Oomph haben es über die Jahre geschafft, kein Album wie das andere klingen zu lassen. Ein Ausruhen oder stumpfe Wiederholung einer Erfolgsformel gab es nicht, trotzdem haben sie es geschafft, sich einen unverwechselbaren Stil zu erarbeiten. So bleibt es auch auf „Richter und Henker“. Zum knackigen Bass und Gitarre gesellen sich oft Synthesizer und industrielle Percussion, das ganze so gekonnt eingesetzt, das es oft erst beim zweiten oder dritten Durchlauf auffällt. Im ausgehenden, unglaublich groovenden Track des Albums „Ein kleines bisschen Glück“ gesellt sich neben Chorbegleitung und einer Sängerin noch ein fetter (Synthi) Bläsersatz. Und wann hatten wir schon mal ein zartes Glockenspiel bei Oomph („Wo die Angst gewinnt“)?
Die brennendste Frage ist wohl aber, wie gut passen „Der Schulz“, Crap und Flux denn nun zusammen? Haben wir überhaupt noch Oomph? Ja, zu 100%. Die drei Musiker fügen sich in ihrer Musikalität und Leidenschaft so perfekt zusammen, als hätte es schon immer so sein müssen. Topf und Deckel, Arsch auf Eimer, sucht es euch aus. „Richter und Henker“ fühlt sich richtig an. Und das macht einfach Spaß.
Und jetzt lassen wir mal kurz beiseite, das wir hier eine Band mit neuem Sänger haben. Wir bekommen mit „Richter und Henker“ wieder, wie typisch für Oomph, den nächsten Schritt ihrer Weiterentwicklung. Das Spiel mit verschiedenen Sounds, die Inhalte, alles bewegt sich auf ganz hohem Niveau. Und wer sich, so wie ich, nicht dran stört, auf diesem Album nicht das neue „Gott ist ein Popstar“ oder „Augen auf“ zu finden, hat am Ende immer noch ein sehr gutes Album in den Händen. Herzlich Willkommen Daniel, Willkommen zurück Oomph.
Kategorie
V.Ö.
Label
Spielzeit
Tracklist
2 Richter und Henker
3 Soll das Liebe Sein?
4 Nur Ein Mensch
5 Schrei nur Schrei
6 Nichts wird mehr Gut
7 Sag Jetzt Einfach Nichts
8 Es ist Nichts, Wie es Scheint
9 Wo die Angst Gewinnt
10 All die Jahre
11 Wut feat. Joachim Witt
12 Ein Kleines Bisschen Glück
Line Up
FLUX (guitars + sampling)
DER SCHULZ (vocals)