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Wisborg flog bei mir bis zum letzten Sommer völlig unter dem Radar. Dabei sind die Gothrocker längst keine Newcomer mehr. Gegründet 2017, legten sie ein Jahr später mit „The Tragedy of Seconds gone“ ihr Debütalbum vor. Mir ins Bewusstsein spielten sie sich allerdings so richtig erst im letzten Jahr beim M´era Luna, als sie mit viel Charisma, Selbstvertrauen und starken Songs die Menge überraschten und begeisterten. Seitdem rotiert doch das ein oder andere Album bei mir und ich frage mich, wie ich Wisborg bisher eigentlich ausweichen konnte.

Jetzt wagen sie mit dem selbstbetitelten Album „Wisborg“ den nächsten Schritt, der gleichzeitig eine Zäsur ist. Das Artwork weicht komplett vom Stil ihrer ersten Alben ab, die eine oder andere Szenegröße haben sie im Gepäck, die Sprache allerdings ist der deutlichste Einschnitt. Wisborg machen es jetzt auf deutsch.

Fronter Konstantin Michaely dazu: „Auf Deutsch zu singen ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn dein Publikum auf Anhieb versteht, wovon deine Stücke handeln, dann haben die Texte naturgemäß mehr Gewicht. Dadurch macht man sich verletzlicher, aber zugleich auch nahbarer. Viele Bands verstecken sich hinter der englischen Sprache, wir haben uns aktiv dafür entschieden, diese Hürde abzubauen und ab sofort in einen direkteren Kontakt mit unseren Fans zu treten."

So richtig bemerkbar macht sich das bei „Korrosion“. Nicht nur ist er musikalisch einer der stärksten Tracks der Scheibe, schafft er es inhaltlich doch, das man sich sofort identifizieren und verbinden kann. Wer fühlte nicht schon Antriebslosigkeit, absolute Leere und Resignation?
Und so erzählen uns Wisborg auf ihrem Album eben von dieser Leere, Isolation („Unter Menschen“),Scheitern in der Großstadt („Berlin“), Sehnsucht und Leidenschaft („Wachs in deiner Hand“), Unzufriedenheit und der Frage, ob es ein Leben vor dem Tod gibt (zusammen bei „Im freien Fall“ mit Produzent und Lord of the Lost – Kopf Chris Harms).

Präsentiert wird es, zumindest vordergründig, in szenetypischen Gewandt. Ab und an beschleicht einen das Gefühl, man hätte den ein oder anderen Track so auch in den 90ern in Clubs hören können. Aber eben nur fast. Klar kommt hier und da auch der ein oder andere Flangergitarreneffekt zum Einsatz, aber eine musikalische Genre - Zitatesammlung sind Wisborg deshalb nicht. Fast jeder Song bringt einen Twist, ein Element mit, das die Musik frisch und aufregend macht (so zum Beispiel bei „So oder so“). Das Sound der Instrumente und die Produktion sind hervorragend.
Über allem schwebt die Stimme von Konstantin Michaely, der mit beinahe aufreizender Lässigkeit zusammen mit seiner Instrumentalgruppe eine bittersüße Atmosphäre aufbaut. Das Spiel mit Stimme und Atmosphäre ist ein ganz wichtiger Faktor. Postpunkig und aggressiver wird es durch die Shouts von Lon Fright (The Fright) bei „Exitus“, beinahe schwülwarm wird es bei „Unter Menschen“ durch die Pariser von Je T´aime. Dazu kommen noch die Momente, wo der Gesang aufmacht und groß wird. Oft genug finden diese Augenblicke nur im Hintergrund statt („Korrosion“), aber hier zeigt sich dann das unfassbar gute Songwriting

Gothic Rock hab ich in den letzten Jahren, bis auf ein paar Ausnahmen, fast völlig aus den Augen verloren. Mir persönlich war das Abspulen von musikalischen und inhaltlichen Klischees zu eintönig und zu selbstreferentiell.
Klar kann man jetzt sagen, „aber Songs über den Tod und menschliche Abgründe und Flangergitarren sind jetzt auch nicht wahnsinnig originell“, aber es kommt ja auf das Gesamtpaket an. Und das ist einfach herausragend.
Wisborg haben den Mut, nicht nur ihre Comfortzone zu verlassen, die Sprache zu wechseln und sich damit verletzlicher zu machen, sie verpacken das ganze auch noch in groovige, tanzbare und mitreißende Melodien. Und das in einer Coolness, die ihresgleichen sucht. 

Anspieltipps: „Korrosion“, „Berlin“ und „So oder so“

Kategorie

V.Ö.

02. Februar 2024

Label

Danse Macabre Records

Spielzeit

46:27

Tracklist

1. Im freien Fall
2. Kalt wie Eis
3. Korrosion
4. Unter Menschen
5. Berlin
6. Mit dir allein
7. Wachs in deiner Hand
8. Exitus
9. Nichts
10. Schall & Rauch
11. So oder so

Line Up

Konstantin Michaely (Vocals, Gitarre, Keys, Programmings)
Nikolas Eckstein (Gitarre, Keys, Programmings)
Luc Lacroix (Schlagzeug live)
Peter Thiele (Gitarre live)

Bewertung

1

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