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Was heißt hier eigentlich normal? - SICK OF SOCIETY im Interview

Vier Jahre sind vergangen, seitdem die Deutschpunker SICK OF SOCIETY mit „Perlen vor die Säue“ ein bärenstarkes Album abgeliefert haben. Nun liegt mit „AQ-PUNK-TUR“ endlich der Nachfolger vor und prompt wird die Kapelle aus Vöhringen in Teilen der Metalpresse ins Deutschrocklager gesteckt. Dies ist einerseits natürlich Quatsch und andererseits nur einer von vielen Gründen, um die Band vors Mikro zu zerren. Das Gitarrenduo Chris und Falko standen uns trotz Urlaubszeit Rede und Antwort.
Vier Jahre sind vergangen, seitdem die Deutschpunker SICK OF SOCIETY mit „Perlen vor die Säue“ ein bärenstarkes Album abgeliefert haben. Nun liegt mit „AQ-PUNK-TUR“ endlich der Nachfolger vor und prompt wird die Kapelle aus Vöhringen in Teilen der Metalpresse ins Deutschrocklager gesteckt. Dies ist einerseits natürlich Quatsch und andererseits nur einer von vielen Gründen, um die Band vors Mikro zu zerren. Das Gitarrenduo Chris und Falko standen uns trotz Urlaubszeit Rede und Antwort.

Ich nenne euch in der Rezension in einem Atemzug mit Bands wie FREI.WILD, GRENZENLOS & Co, da ihr in einem großen deutschen Printmagazin in die Deutschrockschublade gesteckt wurdet. Mir ging es darum, herauszustellen, dass S.O.S. außer den deutschen Texten keine Gemeinsamkeiten mit den gängigen Deutschrockbands haben. Wieso ist euch die Abgrenzung zu dieser Szene – die sich selbst ja wohl auch als eine Art Punkrock sieht – wichtig?

Chris: Das mag schon sein, dass sich diese sogenannten Deutschrockbands selbst als eine Art Punkrock wahrnehmen, aber das stimmt einfach nicht. Im Punkrock ging es immer darum Missstände anzuprangern und die Gesellschaft etwas voranzubringen. Klar gab es da auch Geschmacklosigkeiten und Prollmucke, aber aktuell ist Deutschpunk ziemlich geradeaus. Dieser lächerliche “Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-vor-allem-aber-gegen-die-Spießer-die-uns-den-Spaß-verderben-wollen” Pathos, der diesen Deutschrockbands anhaftet ist einfach nur nervig.
Davon abgesehen möchte ich mal betonen, dass man früher unter Deutschrock eher so Künstler wie Grönemeyer oder Westernhagen verstanden hat.

Ihr greift in euren Texten aktuelle Themen wie „Gentrifizierung“, „Flüchtlinge“, „Rechtsruck in der Politik“, aber auch Probleme der sozialen Medien auf. Nach welchen Gesichtspunkten wählt ihr die Themen für eure Texte aus und müssen alle Bandmitglieder mit den Aussagen und Positionen zufrieden sein?


Falko: Das sind in den meisten Fällen Themen, die uns bewegen oder am Herzen liegen. Da Chris und ich jeweils die Hälfte der Songs geschrieben haben, kamen auch die Texte jeweils von einem von uns beiden. Wir machen da normalerweise keine gemeinschaftliche Diskussion der Texte, aber alle aus der Band kennen sie. Und da kamen auch dann an einigen Stellen noch Änderungsvorschläge, sei es, weil eine Passage inhaltlich noch nicht optimal gepasst hat oder auch weil es für Steini zum Singen eine bessere Variante gab. Ich würde sagen, dass vielleicht nicht alle Bandmitglieder die Texte genauso geschrieben oder formuliert hätten. Zumindest mit der Grundaussage eines Textes sollte aber jeder in der Band einverstanden sein.

Grund für Gesellschaftskritik gab es ja schon immer, ich habe aber das Gefühl, dass die Welt in den letzten Jahren immer verrückt geworden ist – egal in welcher Hinsicht und egal in welchem Land. Fällt es bei der Fülle der potenziellen Themen nicht langsam schwer, überhaupt noch hinterher zu kommen? Man wird doch förmlich erschlagen.

Falko: Genau so ging es uns beim Schreiben zeitweise auch. Der Song „AQ-Punk-Tur“ handelt ja genau davon. Wir hatten während des Schreibens schon das eine oder andere Mal darüber nachgedacht, zu welchem Thema man noch einen Song schreiben sollte. Am Ende hatten wir aber deutlich mehr Themen als Platz in den Texten gewesen wäre. Und hinzukommt, wie im Song „AQ-Punkt-Tur“ beschrieben, eine gewisse Machtlosigkeit, die man angesichts dieser immer verrückter werdenden Welt empfindet. Letztlich ist es nur Punkrock und damit allein werden wir die Welt nicht wirklich verändern.

Mit „Deine Sache“ äußert ihr euch – ich will mal sagen – zu Fragen der „Normalität“ und den Reaktionen der Gesellschaft auf „Abweichungen von dieser Norm“. Wie steht ihr denn zu dem Streitthema „Gendern“ in der Sprache. Ist das etwas, was für mehr Geschlechtergleichheit sorgt oder ist es nur ein Bildungsbürgerthema?

Chris: Die Art und Weise wie du deine Frage formuliert hast, zeigt uns ja schon den Kern des Problems. Es wird in unserer Gesellschaft noch immer zwischen normal und nicht normal unterschieden. Wer entscheidet was normal ist und was nicht?! Wo steht das geschrieben?! Das ist schlicht ein veraltetes Bild, das noch immer in den Köpfen festsitzt und beseitigt werden muss.
Wir propagieren in dem Song ein Weltbild, in dem sämtliche Geschlechter und Arten der Sexualität als “normal” angesehen werden. Akzeptanz und Toleranz!!!
Das mit dem “Gendern” ist so ein Thema. Ich verstehe, weshalb das immer mehr Einzug in unsere Sprache hält, ob das nun für Geschlechtergleichheit sorgt oder nicht, kann ich nicht beurteilen.
Erst mal müssen die Leute verstehen, dass ALLES normal ist...
Der gewöhnliche Bild-Leser wird kaum Gendersternchen setzen oder auf Pronomen achten, wenn er noch nicht mal Verständnis für Transpersonen oder Homosexuelle hat.

Mit „Krieg“ habt ihr ebenfalls ein aktuelles Thema aufgegriffen. Der Song dürfte natürlich bereits vor dem Ukrainekrieg entstanden sein. Wie ordnet ihr denn die Situation und den Krieg ein?

Falko: Puh, das ist wirklich eine sehr schwierige Frage und da sind wir sicherlich nicht die größten Experten, um diese Situation bzw. den Krieg in all seinen Facetten korrekt einordnen zu können. Fakt ist, dass Krieg immer scheiße ist. Und dass ein offensichtlich skrupelloser Despot im Kreml hier seine Macht-Fantasien auf Kosten von unzähligen unschuldigen Menschen auslebt, ist ebenso unumstritten. Uns hat die Situation, ebenso wie vermutlich die meisten Menschen in Europa, sehr betroffen gemacht, da ja niemand einen derartigen Angriffskrieg in Europa für möglich gehalten hätte.   

Ihr habt verschiedene Gäste auf dem neuen Album. Wie kam es zu den Kooperationen?

Falko: Die Kooperation kam auf sehr unterschiedliche Art und Weise zustande. Teils sind das alte Weggefährten, mit denen wir schon seit Jahren freundschaftlich verbunden sind. In anderen Fällen sind es aber auch recht frische Kontakte, die sich erst anlässlich der Aufnahmen ergeben haben.

„Aq-punk-tur“ wird über 30 Kilo Fieber Records veröffentlicht. Was kannst du mir über das Label und eure Zusammenarbeit sagen? Wie profitiert ihr von dem Label?

Chris: 30 Kilo Fieber Records ist ein kleines Independent-Label aus unserer Ecke, das sich hauptsächlich auf den Punk-Bereich spezialisiert hat. Leider haben wir es noch immer nicht geschafft, uns mal persönlich mit Bernd, dem Betreiber des Labels, zu treffen, steht aber fest auf der Agenda.
Für uns war es wichtig mehr potenzielle Hörer zu erreichen und mehr Aufmerksamkeit zu erregen, wofür so ein Label im Rücken schon ganz gut ist. Zudem bekommen wir hier Hilfe mit Labelcodes und dem ganzen Kram, mit dem man als Musiker nicht unbedingt vertraut ist.

Wohin soll die Reise mit S.O.S. in Zukunft gehen? Seid ihr mit eurem momentanen Status zufrieden oder versucht ihr euch in dieser Hinsicht noch zu „vergrößern“?

Falko: Tatsächlich sind wir momentan sehr zufrieden darüber wie gut die neue Platte von den Hörern aufgenommen wurde und wir dürfen uns nicht über zu wenig Aufmerksamkeit beschweren. Natürlich wollen wir uns immer noch weiterentwickeln und die nächste Stufe erreichen. Allerdings kommen wir auch immer wieder an natürliche Grenzen, da wir ja bei weitem nicht von der Musik leben können und somit noch genug andere Dinge um die Ohren haben. Wir freuen uns aber immer wieder über gute Auftrittsmöglichkeiten. Und in dieser Hinsicht wollen wir uns auf jeden Fall noch etwas „vergrößern“.



(c) Pics: ADI/ RockNRoll-Art-Foundation

Bild Copyright:

Infos

  • Erstellt am

    28. August 2022
  • Line Up

    Falko – Gitarre, Vox
    Oliver – Drums, BackVox
    Chris – Gitarre, Vox
    Steini – Bass, Vox
  • Redakteur

    Thorsten Zwingelberg